Papier: 2.1.5 Einschränkungen von Grundrechten / Kollidierende Rechtsgüter

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1 Gerade im Bereich des Internet sind zum Teil schwierige
2 Grundrechtskollisionen vorgezeichnet, wie z.B. die sog.
3 Spickmich-Entscheidung des BGH zeigt. Pauschale
4 Gegenüberstellungen etwa mit dem Eigentumsgrundrecht oder
5 der Berufausübungsfreiheit aber verbieten sich, da oft genug
6 gefragt werden muss, ob bestimmte Grundrechtsausübungen
7 zugleich den Schutz des Umgangs mit den Daten von dritten
8 Grundrechtsträgern umfassen. Hier ist eine besonders
9 differenzierte Darstellung zu empfehlen.
10
11 Jedermann hat das Recht, über die Preisgabe und Verwendung
12 seiner persönlichen Daten grundsätzlich selbst zu bestimmen.
13 Einschränkungen dieses Rechts auf informationelle
14 Selbstbestimmung sind nur im überwiegenden
15 Allgemeininteresse zulässig. Dieses „Recht auf
16 informationelle Selbstbestimmung“, wie es das
17 Bundesverfassungsgericht 1983 in seiner Entscheidung zur
18 Volkszählung, also im Hinblick auf eine staatliche Maßnahme,
19 beschrieben hat, ist einerseits - als Ausprägung des
20 allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m.
21 Art. 1 Abs. 1 GG – ein individuelles Abwehrrecht gegenüber
22 staatlichen Eingriffen.
23
24 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wirkt
25 sich das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aber
26 darüberhinaus im Sinne einer Drittwirkung auch auf die
27 Auslegung und Anwendung privatrechtlicher Vorschriften aus
28 und begründet staatliche Schutzpflichten. Die staatliche
29 Gewalt ist danach verpflichtet, dem Einzelnen seine
30 informationelle Selbstbestimmung im Verhältnis zu Dritten zu
31 ermöglichen. [Fußnote: BVerG, Beschluss vom 23.10.2006 – BvR
32 2027//02, Rn 30.]Gegebenenfalls müssen staatlicherseits die
33 rechtlichen Bedingungen geschaffen und erhalten werden,
34 unter denen der Einzelne selbstbestimmt an
35 Kommunikationsprozessen teilnehmen kann. [Fußnote: BVerG,
36 Beschluss vom 23.10.2006 – BvR 2027//02, Rn. 33.]
37
38 Nicht jede Beeinträchtigung eines grundrechtlichen
39 Schutzbereichs führt per se zur Verfassungswidrigkeit der
40 Maßnahme. Zum einen kann der Betroffene in die Maßnahme
41 einwilligen und seine Daten freiwillig preisgeben, was vom
42 Staat zu respektieren ist. [Fußnote: Vgl. BVerfG-K, 1 BvR
43 2027/02 vom 23.10.2006, Absatz-Nr. 34,
44 http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk20061023_1bvr202702.ht
45 ml; Schoch, JURA 2008. 352, 357.] Aber auch ohne
46 Einwilligung wird der verfassungsrechtliche Datenschutz
47 nicht grenzenlos gewährleistet, sondern kann beschränkt
48 werden. Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu bereits 1983
49 im sogenannten Volkszählungsurteil dargelegt: "Das
50 Grundrecht gewährleistet insoweit die Befugnis des
51 Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und
52 Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen.
53 Einschränkungen dieses Rechts auf "informationelle
54 Selbstbestimmung" sind nur im überwiegenden
55 Allgemeininteresse zulässig."
56
57 Für diese Schrankenziehung hat das BVerfG seit dem
58 Volkszählungsurteil eine Reihe von Vorgaben aufgestellt, die
59 es zu beachten gilt. Dabei gelten für die genannten
60 Grundrechte weitgehend die gleichen Maßstäbe. [Fußnote: Vgl.
61 BVerfGE 115, 320, 347; Gurlit, NJW 2010, 1035, 1037 f.]
62
63 Grundlegende Voraussetzung für einen zulässigen Eingriff in
64 das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist das
65 Vorhandensein einer gesetzlichen Grundlage, welche die
66 Voraussetzungen und den Umfang der Beschränkungen klar
67 erkennen lässt. [Fußnote: BVerfGE 65, 1, 44.] Das
68 Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage (Gesetzesvorbehalt)
69 folgt bereits aus Art. 2 Abs. 1 GG, wonach das allgemeine
70 Persönlichkeitsrecht nur innerhalb der verfassungsmäßigen
71 Ordnung gewährleistet wird. Die gesetzliche Grundlage muss
72 dem Gebot der Normenklarheit entsprechen, was bedeutet, dass
73 Anlass, Zweck und Grenzen eines Eingriffs in der
74 Ermächtigung bereichsspezifisch, präzise und für den Bürger
75 klar erkennbar festgelegt werden müssen. [Fußnote:
76 Kühling/Seidel/Sivridis, Datenschutzrecht, S. 79 m.w.N. aus
77 der Rspr. des BVerfG.]
78
79 Weiterhin muss der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachtet
80 werden. Das bedeutet, dass die Maßnahme einen legitimen
81 Zweck verfolgen, zu dessen Erreichung geeignet, erforderlich
82 und verhältnismäßig sein muss. [Fußnote: BVerfGE 115, 320,
83 345 ff.] Der Zweck muss von vornherein bestimmt sein. Die
84 ständige Rechtsprechung des BVerfG bringt deutlich zum
85 Ausdruck, „dass dem Staat eine Sammlung von
86 personenbezogenen Daten auf Vorrat zu unbestimmten oder noch
87 nicht bestimmbaren Zwecken verfassungsrechtlich strikt
88 untersagt ist.“ [Fußnote: BVerfG NJW 2010, 833, 839 Rn.
89 213.]
90 Es besteht demnach ein "Schutz des Einzelnen gegen
91 unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und
92 Weitergabe seiner persönlichen Daten". Das Grundrecht auf
93 informationelle Selbstbestimmung wird als besondere
94 Ausprägung des schon zuvor grundrechtlich geschützten
95 allgemeinen Persönlichkeitsrechts angesehen. Wie dieses
96 wird es verfassungsrechtlich aus Art. 2 Abs. 1 (sog.
97 allgemeine Handlungsfreiheit) in Verbindung mit Art. 1 Abs.
98 1 GG (Menschenwürde-Garantie) hergeleitet.
99
100 In der Verhältnismäßigkeitsprüfung findet eine Güterabwägung
101 zwischen dem verfolgten Zweck und dem Recht auf
102 informationelle Selbstbestimmung statt. Dabei ist von der
103 Prämisse auszugehen, dass Grundrechte „jeweils nur soweit
104 beschränkt werden dürfen, als es zum Schutze öffentlicher
105 Interessen unerlässlich ist.“ [Fußnote: BVerfGE 65, 1, 44.]
106 In der Abwägung ist vor allem das Gewicht der
107 Grundrechtsbeeinträchtigung zu beachten. Bei der Beurteilung
108 der Schwere des Eingriffs sind z.B. die folgenden Kriterien
109 zu berücksichtigen:
110
111 • in welche Sphäre die Maßnahme eingreift (Sozial-, Privat-
112 oder Intimsphäre). [Fußnote: In die Intimsphäre darf gar
113 nicht eingegriffen werden, in die Privat- oder
114 Geheimnissphäre nur unter besonders strenger Wahrung des
115 Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und in die Sozialsphäre
116 bereits nach den Kriterien, die für einen Eingriff in die
117 allgemeine Handlungsfreiheit gelten. Vgl. Murswiek, in:
118 Sachs, GG, Art. 2 Rn. 104 m.w.N.] Die unterschiedliche
119 Schutzintensität der drei Sphären kann aber nicht im Sinne
120 eines starren Schemas verstanden werden, sondern nur als
121 erster Orientierungspunkt für die Intensität der
122 Grundrechtsbeeinträchtigung und für die Gewichtung der diese
123 Beeinträchtigung rechtfertigenden Gründe.
124
125 • wie viele Grundrechtsträger betroffen sind; [Fußnote:
126 BVerfGE 115, 320, 347.]
127
128 • wie intensiv die Beeinträchtigungen sind; [Fußnote:
129 BVerfGE 115, 320, 347.]
130
131 • welche Inhalte von dem Eingriff erfasst werden,
132 insbesondere welchen Grad an Persönlichkeitsrelevanz die
133 betroffenen Informationen je für sich und in ihrer
134 Verknüpfung mit anderen aufweisen; [Fußnote: BVerfGE 115,
135 320, 348.]
136
137 • ob besondere Vertraulichkeitserwartungen verletzt werden;
138 [Fußnote: BVerfGE 115, 320, 348.]
139
140 • auf welchem Weg die Inhalte erlangt werden; [Fußnote:
141 BVerfGE 115, 320, 348.]
142
143 • welche weiteren Folgen oder Nachteile die Datenerhebung
144 nach sich ziehen kann, z.B.
145
146 - das Risiko, Gegenstand staatlicher Ermittlungsmaßnahmen zu
147 werden, das über das allgemeine Risiko hinausgeht, einem
148 unberechtigten Verdacht-ausgesetzt zu werden,
149
150 - eine stigmatisierende Wirkung; [Fußnote: BVerfGE 115, 320,
151 351 ff.]
152
153 • die Heimlichkeit einer staatlichen Maßnahme, welche z.B.
154 die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Rechtsschutz im
155 Vergleich zur offenen Datenerhebung wesentlich erschwert;
156 [Fußnote: Vgl. z.B. BVerfGE 120, 274, 325; 124, 43, 62 f.
157 und 65 f.]
158
159 • der Verdachtsgrad;
160
161 • über welchen Zeitraum die Daten erhoben, verarbeitet und
162 genutzt werden können;
163
164 • und die Streubreite einer Maßnahme.
165
166 Zum zuletzt genannten Punkt hat das BVerfG ausgeführt:
167 „Grundrechtseingriffe, die sowohl durch Verdachtslosigkeit
168 als auch durch eine große Streubreite gekennzeichnet sind –
169 bei denen also zahlreiche Personen in den Wirkungsbereich
170 einer Maßnahme einbezogen werden, die in keiner Beziehung zu
171 einem konkreten Fehlverhalten stehen und den Eingriff durch
172 ihr Verhalten nicht veranlasst haben – weisen grundsätzlich
173 eine hohe Eingriffsintensität auf…. Denn der Einzelne ist in
174 seiner grundrechtlichen Freiheit umso intensiver betroffen,
175 je weniger er selbst für einen staatlichen Eingriff Anlass
176 gegeben hat. Von solchen Eingriffen können ferner
177 Einschüchterungseffekte ausgehen, die zu Beeinträchtigungen
178 bei der Ausübung von Grundrechten führen können. … Es
179 gefährdet die Unbefangenheit des Verhaltens, wenn die
180 Streubreite von Ermittlungsmaßnahmen dazu beiträgt, dass
181 Risiken des Missbrauchs und ein Gefühl des Überwachtwerdens
182 entstehen … .“ [Fußnote: BVerfGE 115, 320, 354 f.]
183
184 Das Bundesverfassungsgericht hat eine anlasslose Speicherung
185 von Telekommunikationsverkehrsdaten zwar nicht schlechthin
186 als verfassungswidrig angesehen, aber betont, dass es sich
187 um einen besonders schweren Eingriff handele, der höchsten
188 verfassungsrechtlichen Anforderungen bei der Ausgestaltung
189 der Regelungen unterliegt.
190
191 Je schwerer die Grundrechtsbeeinträchtigung wiegt, desto
192 höher muss das staatliche Schutzgut wiegen, um den Eingriff
193 rechtfertigen zu können. In die Waagschale gelegt werden
194 können hier z.B.:
195
196 • die Sicherheit des Staates als verfasste Friedens- und
197 Ordnungsmacht und die von ihm zu gewährleistende Sicherheit
198 der Bevölkerung vor Gefahren für Leib, Leben und Freiheit;[
199 Fußnote: BVerfGE 120, 274, 319 und 328.]
200
201 • die Abwehr von Beeinträchtigungen der Grundlagen einer
202 freiheitlichen demokratischen Grundordnung; [Fußnote:
203 BVerfGE 115, 320, 358.]
204
205 • die Sicherung der Funktionsfähigkeit wesentlicher Teile
206 existenzsichernder öffentlicher Versorgungseinrichtungen;
207 [Fußnote: BVerfGE 120, 274, 328.]
208
209 • die Verhütung und Verfolgung von Straftaten von
210 erheblicher Bedeutung [Fußnote: BVerfGE 113, 348, 385.]bzw.
211 schwerwiegender Straftaten. [Fußnote: BVerfG NJW 2010, 833,
212 848 Rn. 279.]
213
214 Eine absolute Grenze der Zulässigkeit einer Datenerhebung
215 bildet die Schranken-Schranke des unantastbaren Kernbereichs
216 privater Lebensgestaltung, insbesondere im Bereich der
217 Intimsphäre. Staatliche Stellen „haben einen unantastbaren
218 Kernbereich privater Lebensgestaltung zu wahren, dessen
219 Schutz sich aus Art. 1 Abs. 1 GG ergibt. … Selbst
220 überwiegende Interessen der Allgemeinheit können einen
221 Eingriff in ihn nicht rechtfertigen … Zur Entfaltung der
222 Persönlichkeit im Kernbereich privater Lebensgestaltung
223 gehört die Möglichkeit, innere Vorgänge wie Empfindungen und
224 Gefühle sowie Überlegungen, Ansichten und Erlebnisse
225 höchstpersönlicher Art ohne die Angst zum Ausdruck zu
226 bringen, dass staatliche Stellen dies überwachen.“ [Fußnote:
227 BVerfGE 120, 274, 335.] Deshalb hat das BVerfG als
228 Voraussetzung für einen Zugriff auf einen Bereich, in dem
229 solche Kernbereichsdaten (z.B. tagebuchartige
230 Aufzeichnungen, private Film- oder Tondokumente,
231 höchstpersönliche Telefonate oder Emails) zu vermuten sind,
232 das Erfordernis besonderer gesetzlicher Vorkehrungen
233 aufgestellt, um den Kernbereich der privaten
234 Lebensgestaltung zu schützen. [Fußnote: BVerfGE 120, 274,
235 336 ff.]So lässt sich die (beiläufige) Erfassung solcher
236 Daten nicht immer verhindern. Jedoch sind entsprechende
237 Maßnahmen abzubrechen, sobald erkannt wird, dass sie in den
238 Kernbereich vordringen oder zumindest im Nachhinein umgehend
239 zu löschen. [Fußnote: BVerfGE 120, 274, 337.]
240
241 Aber auch unabhängig von diesem Kernbereich hat der
242 Gesetzgeber „organisatorische und verfahrensrechtliche
243 Vorkehrungen zu treffen, welche der Gefahr einer Verletzung
244 des Persönlichkeitsrechts entgegenwirken.“ [Fußnote: BVerfGE
245 65, 1, 44.] Dazu gehört auch die Sicherheit der Daten. So
246 hat das BVerfG in seiner Entscheidung zur
247 Vorratsdatenspeicherung vor allem die „gesetzliche
248 Gewährleistung eines besonders hohen Standards der
249 Datensicherheit“ eingefordert. [Fußnote: BVerfG NJW 2010,
250 833, 840 Rn. 221.]
251
252 Im Falle des heimlichen Zugriffes auf die
253 Datenverarbeitungsanlagen von Privatpersonen durch
254 Sicherheitsbehörden (sog. Online-Durchsuchung) bestehen
255 besonders hohe Hürden für den Gesetzgeber, die sich
256 vorrangig aus dem neugeschaffenen Grundrecht auf
257 Vertraulichkeit und der Integrität informationstechnischer
258 Systeme ableiten. Sie sind nur zulässig, wenn Gefahren für
259 überragend wichtige Rechtsgüter bestehen, die sich in
260 Gestalt von tatsächlichen Anhaltspunkten einer konkreten
261 Gefahr manifestieren. Neben dem grundsätzlich geltenden
262 Vorbehalt richterlicher Anordnung müssen u.a. auch
263 Vorkehrungen getroffen werden, die den Kernbereich privater
264 Lebensgestaltung schützen.

Der Text verglichen mit der Originalversion

1 Gerade im Bereich des Internet sind zum Teil schwierige
2 Grundrechtskollisionen vorgezeichnet, wie z.B. die sog.
3 Spickmich-Entscheidung des BGH zeigt. Pauschale
4 Gegenüberstellungen etwa mit dem Eigentumsgrundrecht oder
5 der Berufausübungsfreiheit aber verbieten sich, da oft genug
6 gefragt werden muss, ob bestimmte Grundrechtsausübungen
7 zugleich den Schutz des Umgangs mit den Daten von dritten
8 Grundrechtsträgern umfassen. Hier ist eine besonders
9 differenzierte Darstellung zu empfehlen.
10
11 Jedermann hat das Recht, über die Preisgabe und Verwendung
12 seiner persönlichen Daten grundsätzlich selbst zu bestimmen.
13 Einschränkungen dieses Rechts auf informationelle
14 Selbstbestimmung sind nur im überwiegenden
15 Allgemeininteresse zulässig. Dieses „Recht auf
16 informationelle Selbstbestimmung“, wie es das
17 Bundesverfassungsgericht 1983 in seiner Entscheidung zur
18 Volkszählung, also im Hinblick auf eine staatliche Maßnahme,
19 beschrieben hat, ist einerseits - als Ausprägung des
20 allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m.
21 Art. 1 Abs. 1 GG – ein individuelles Abwehrrecht gegenüber
22 staatlichen Eingriffen.
23
24 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wirkt
25 sich das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aber
26 darüberhinaus im Sinne einer Drittwirkung auch auf die
27 Auslegung und Anwendung privatrechtlicher Vorschriften aus
28 und begründet staatliche Schutzpflichten. Die staatliche
29 Gewalt ist danach verpflichtet, dem Einzelnen seine
30 informationelle Selbstbestimmung im Verhältnis zu Dritten zu
31 ermöglichen. [Fußnote: BVerG, Beschluss vom 23.10.2006 – BvR
32 2027//02, Rn 30.]Gegebenenfalls müssen staatlicherseits die
33 rechtlichen Bedingungen geschaffen und erhalten werden,
34 unter denen der Einzelne selbstbestimmt an
35 Kommunikationsprozessen teilnehmen kann. [Fußnote: BVerG,
36 Beschluss vom 23.10.2006 – BvR 2027//02, Rn. 33.]
37
38 Nicht jede Beeinträchtigung eines grundrechtlichen
39 Schutzbereichs führt per se zur Verfassungswidrigkeit der
40 Maßnahme. Zum einen kann der Betroffene in die Maßnahme
41 einwilligen und seine Daten freiwillig preisgeben, was vom
42 Staat zu respektieren ist. [Fußnote: Vgl. BVerfG-K, 1 BvR
43 2027/02 vom 23.10.2006, Absatz-Nr. 34,
44 http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk20061023_1bvr202702.ht
45 ml; Schoch, JURA 2008. 352, 357.] Aber auch ohne
46 Einwilligung wird der verfassungsrechtliche Datenschutz
47 nicht grenzenlos gewährleistet, sondern kann beschränkt
48 werden. Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu bereits 1983
49 im sogenannten Volkszählungsurteil dargelegt: "Das
50 Grundrecht gewährleistet insoweit die Befugnis des
51 Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und
52 Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen.
53 Einschränkungen dieses Rechts auf "informationelle
54 Selbstbestimmung" sind nur im überwiegenden
55 Allgemeininteresse zulässig."
56
57 Für diese Schrankenziehung hat das BVerfG seit dem
58 Volkszählungsurteil eine Reihe von Vorgaben aufgestellt, die
59 es zu beachten gilt. Dabei gelten für die genannten
60 Grundrechte weitgehend die gleichen Maßstäbe. [Fußnote: Vgl.
61 BVerfGE 115, 320, 347; Gurlit, NJW 2010, 1035, 1037 f.]
62
63 Grundlegende Voraussetzung für einen zulässigen Eingriff in
64 das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist das
65 Vorhandensein einer gesetzlichen Grundlage, welche die
66 Voraussetzungen und den Umfang der Beschränkungen klar
67 erkennen lässt. [Fußnote: BVerfGE 65, 1, 44.] Das
68 Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage (Gesetzesvorbehalt)
69 folgt bereits aus Art. 2 Abs. 1 GG, wonach das allgemeine
70 Persönlichkeitsrecht nur innerhalb der verfassungsmäßigen
71 Ordnung gewährleistet wird. Die gesetzliche Grundlage muss
72 dem Gebot der Normenklarheit entsprechen, was bedeutet, dass
73 Anlass, Zweck und Grenzen eines Eingriffs in der
74 Ermächtigung bereichsspezifisch, präzise und für den Bürger
75 klar erkennbar festgelegt werden müssen. [Fußnote:
76 Kühling/Seidel/Sivridis, Datenschutzrecht, S. 79 m.w.N. aus
77 der Rspr. des BVerfG.]
78
79 Weiterhin muss der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachtet
80 werden. Das bedeutet, dass die Maßnahme einen legitimen
81 Zweck verfolgen, zu dessen Erreichung geeignet, erforderlich
82 und verhältnismäßig sein muss. [Fußnote: BVerfGE 115, 320,
83 345 ff.] Der Zweck muss von vornherein bestimmt sein. Die
84 ständige Rechtsprechung des BVerfG bringt deutlich zum
85 Ausdruck, „dass dem Staat eine Sammlung von
86 personenbezogenen Daten auf Vorrat zu unbestimmten oder noch
87 nicht bestimmbaren Zwecken verfassungsrechtlich strikt
88 untersagt ist.“ [Fußnote: BVerfG NJW 2010, 833, 839 Rn.
89 213.]
90 Es besteht demnach ein "Schutz des Einzelnen gegen
91 unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und
92 Weitergabe seiner persönlichen Daten". Das Grundrecht auf
93 informationelle Selbstbestimmung wird als besondere
94 Ausprägung des schon zuvor grundrechtlich geschützten
95 allgemeinen Persönlichkeitsrechts angesehen. Wie dieses
96 wird es verfassungsrechtlich aus Art. 2 Abs. 1 (sog.
97 allgemeine Handlungsfreiheit) in Verbindung mit Art. 1 Abs.
98 1 GG (Menschenwürde-Garantie) hergeleitet.
99
100 In der Verhältnismäßigkeitsprüfung findet eine Güterabwägung
101 zwischen dem verfolgten Zweck und dem Recht auf
102 informationelle Selbstbestimmung statt. Dabei ist von der
103 Prämisse auszugehen, dass Grundrechte „jeweils nur soweit
104 beschränkt werden dürfen, als es zum Schutze öffentlicher
105 Interessen unerlässlich ist.“ [Fußnote: BVerfGE 65, 1, 44.]
106 In der Abwägung ist vor allem das Gewicht der
107 Grundrechtsbeeinträchtigung zu beachten. Bei der Beurteilung
108 der Schwere des Eingriffs sind z.B. die folgenden Kriterien
109 zu berücksichtigen:
110
111 • in welche Sphäre die Maßnahme eingreift (Sozial-, Privat-
112 oder Intimsphäre). [Fußnote: In die Intimsphäre darf gar
113 nicht eingegriffen werden, in die Privat- oder
114 Geheimnissphäre nur unter besonders strenger Wahrung des
115 Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und in die Sozialsphäre
116 bereits nach den Kriterien, die für einen Eingriff in die
117 allgemeine Handlungsfreiheit gelten. Vgl. Murswiek, in:
118 Sachs, GG, Art. 2 Rn. 104 m.w.N.] Die unterschiedliche
119 Schutzintensität der drei Sphären kann aber nicht im Sinne
120 eines starren Schemas verstanden werden, sondern nur als
121 erster Orientierungspunkt für die Intensität der
122 Grundrechtsbeeinträchtigung und für die Gewichtung der diese
123 Beeinträchtigung rechtfertigenden Gründe.
124
125 • wie viele Grundrechtsträger betroffen sind; [Fußnote:
126 BVerfGE 115, 320, 347.]
127
128 • wie intensiv die Beeinträchtigungen sind; [Fußnote:
129 BVerfGE 115, 320, 347.]
130
131 • welche Inhalte von dem Eingriff erfasst werden,
132 insbesondere welchen Grad an Persönlichkeitsrelevanz die
133 betroffenen Informationen je für sich und in ihrer
134 Verknüpfung mit anderen aufweisen; [Fußnote: BVerfGE 115,
135 320, 348.]
136
137 • ob besondere Vertraulichkeitserwartungen verletzt werden;
138 [Fußnote: BVerfGE 115, 320, 348.]
139
140 • auf welchem Weg die Inhalte erlangt werden; [Fußnote:
141 BVerfGE 115, 320, 348.]
142
143 • welche weiteren Folgen oder Nachteile die Datenerhebung
144 nach sich ziehen kann, z.B.
145
146 - das Risiko, Gegenstand staatlicher Ermittlungsmaßnahmen zu
147 werden, das über das allgemeine Risiko hinausgeht, einem
148 unberechtigten Verdacht-ausgesetzt zu werden,
149
150 - eine stigmatisierende Wirkung; [Fußnote: BVerfGE 115, 320,
151 351 ff.]
152
153 • die Heimlichkeit einer staatlichen Maßnahme, welche z.B.
154 die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Rechtsschutz im
155 Vergleich zur offenen Datenerhebung wesentlich erschwert;
156 [Fußnote: Vgl. z.B. BVerfGE 120, 274, 325; 124, 43, 62 f.
157 und 65 f.]
158
159 • der Verdachtsgrad;
160
161 • über welchen Zeitraum die Daten erhoben, verarbeitet und
162 genutzt werden können;
163
164 • und die Streubreite einer Maßnahme.
165
166 Zum zuletzt genannten Punkt hat das BVerfG ausgeführt:
167 „Grundrechtseingriffe, die sowohl durch Verdachtslosigkeit
168 als auch durch eine große Streubreite gekennzeichnet sind –
169 bei denen also zahlreiche Personen in den Wirkungsbereich
170 einer Maßnahme einbezogen werden, die in keiner Beziehung zu
171 einem konkreten Fehlverhalten stehen und den Eingriff durch
172 ihr Verhalten nicht veranlasst haben – weisen grundsätzlich
173 eine hohe Eingriffsintensität auf…. Denn der Einzelne ist in
174 seiner grundrechtlichen Freiheit umso intensiver betroffen,
175 je weniger er selbst für einen staatlichen Eingriff Anlass
176 gegeben hat. Von solchen Eingriffen können ferner
177 Einschüchterungseffekte ausgehen, die zu Beeinträchtigungen
178 bei der Ausübung von Grundrechten führen können. … Es
179 gefährdet die Unbefangenheit des Verhaltens, wenn die
180 Streubreite von Ermittlungsmaßnahmen dazu beiträgt, dass
181 Risiken des Missbrauchs und ein Gefühl des Überwachtwerdens
182 entstehen … .“ [Fußnote: BVerfGE 115, 320, 354 f.]
183
184 Das Bundesverfassungsgericht hat eine anlasslose Speicherung
185 von Telekommunikationsverkehrsdaten zwar nicht schlechthin
186 als verfassungswidrig angesehen, aber betont, dass es sich
187 um einen besonders schweren Eingriff handele, der höchsten
188 verfassungsrechtlichen Anforderungen bei der Ausgestaltung
189 der Regelungen unterliegt.
190
191 Je schwerer die Grundrechtsbeeinträchtigung wiegt, desto
192 höher muss das staatliche Schutzgut wiegen, um den Eingriff
193 rechtfertigen zu können. In die Waagschale gelegt werden
194 können hier z.B.:
195
196 • die Sicherheit des Staates als verfasste Friedens- und
197 Ordnungsmacht und die von ihm zu gewährleistende Sicherheit
198 der Bevölkerung vor Gefahren für Leib, Leben und Freiheit;[
199 Fußnote: BVerfGE 120, 274, 319 und 328.]
200
201 • die Abwehr von Beeinträchtigungen der Grundlagen einer
202 freiheitlichen demokratischen Grundordnung; [Fußnote:
203 BVerfGE 115, 320, 358.]
204
205 • die Sicherung der Funktionsfähigkeit wesentlicher Teile
206 existenzsichernder öffentlicher Versorgungseinrichtungen;
207 [Fußnote: BVerfGE 120, 274, 328.]
208
209 • die Verhütung und Verfolgung von Straftaten von
210 erheblicher Bedeutung [Fußnote: BVerfGE 113, 348, 385.]bzw.
211 schwerwiegender Straftaten. [Fußnote: BVerfG NJW 2010, 833,
212 848 Rn. 279.]
213
214 Eine absolute Grenze der Zulässigkeit einer Datenerhebung
215 bildet die Schranken-Schranke des unantastbaren Kernbereichs
216 privater Lebensgestaltung, insbesondere im Bereich der
217 Intimsphäre. Staatliche Stellen „haben einen unantastbaren
218 Kernbereich privater Lebensgestaltung zu wahren, dessen
219 Schutz sich aus Art. 1 Abs. 1 GG ergibt. … Selbst
220 überwiegende Interessen der Allgemeinheit können einen
221 Eingriff in ihn nicht rechtfertigen … Zur Entfaltung der
222 Persönlichkeit im Kernbereich privater Lebensgestaltung
223 gehört die Möglichkeit, innere Vorgänge wie Empfindungen und
224 Gefühle sowie Überlegungen, Ansichten und Erlebnisse
225 höchstpersönlicher Art ohne die Angst zum Ausdruck zu
226 bringen, dass staatliche Stellen dies überwachen.“ [Fußnote:
227 BVerfGE 120, 274, 335.] Deshalb hat das BVerfG als
228 Voraussetzung für einen Zugriff auf einen Bereich, in dem
229 solche Kernbereichsdaten (z.B. tagebuchartige
230 Aufzeichnungen, private Film- oder Tondokumente,
231 höchstpersönliche Telefonate oder Emails) zu vermuten sind,
232 das Erfordernis besonderer gesetzlicher Vorkehrungen
233 aufgestellt, um den Kernbereich der privaten
234 Lebensgestaltung zu schützen. [Fußnote: BVerfGE 120, 274,
235 336 ff.]So lässt sich die (beiläufige) Erfassung solcher
236 Daten nicht immer verhindern. Jedoch sind entsprechende
237 Maßnahmen abzubrechen, sobald erkannt wird, dass sie in den
238 Kernbereich vordringen oder zumindest im Nachhinein umgehend
239 zu löschen. [Fußnote: BVerfGE 120, 274, 337.]
240
241 Aber auch unabhängig von diesem Kernbereich hat der
242 Gesetzgeber „organisatorische und verfahrensrechtliche
243 Vorkehrungen zu treffen, welche der Gefahr einer Verletzung
244 des Persönlichkeitsrechts entgegenwirken.“ [Fußnote: BVerfGE
245 65, 1, 44.] Dazu gehört auch die Sicherheit der Daten. So
246 hat das BVerfG in seiner Entscheidung zur
247 Vorratsdatenspeicherung vor allem die „gesetzliche
248 Gewährleistung eines besonders hohen Standards der
249 Datensicherheit“ eingefordert. [Fußnote: BVerfG NJW 2010,
250 833, 840 Rn. 221.]
251
252 Im Falle des heimlichen Zugriffes auf die
253 Datenverarbeitungsanlagen von Privatpersonen durch
254 Sicherheitsbehörden (sog. Online-Durchsuchung) bestehen
255 besonders hohe Hürden für den Gesetzgeber, die sich
256 vorrangig aus dem neugeschaffenen Grundrecht auf
257 Vertraulichkeit und der Integrität informationstechnischer
258 Systeme ableiten. Sie sind nur zulässig, wenn Gefahren für
259 überragend wichtige Rechtsgüter bestehen, die sich in
260 Gestalt von tatsächlichen Anhaltspunkten einer konkreten
261 Gefahr manifestieren. Neben dem grundsätzlich geltenden
262 Vorbehalt richterlicher Anordnung müssen u.a. auch
263 Vorkehrungen getroffen werden, die den Kernbereich privater
264 Lebensgestaltung schützen.

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