Papier: 2.1.5 Einschränkungen von Grundrechten / Kollidierende Rechtsgüter
Originalversion
1 | Gerade im Bereich des Internet sind zum Teil schwierige |
2 | Grundrechtskollisionen vorgezeichnet, wie z.B. die sog. |
3 | Spickmich-Entscheidung des BGH zeigt. Pauschale |
4 | Gegenüberstellungen etwa mit dem Eigentumsgrundrecht oder |
5 | der Berufausübungsfreiheit aber verbieten sich, da oft genug |
6 | gefragt werden muss, ob bestimmte Grundrechtsausübungen |
7 | zugleich den Schutz des Umgangs mit den Daten von dritten |
8 | Grundrechtsträgern umfassen. Hier ist eine besonders |
9 | differenzierte Darstellung zu empfehlen. |
10 | |
11 | Jedermann hat das Recht, über die Preisgabe und Verwendung |
12 | seiner persönlichen Daten grundsätzlich selbst zu bestimmen. |
13 | Einschränkungen dieses Rechts auf informationelle |
14 | Selbstbestimmung sind nur im überwiegenden |
15 | Allgemeininteresse zulässig. Dieses „Recht auf |
16 | informationelle Selbstbestimmung“, wie es das |
17 | Bundesverfassungsgericht 1983 in seiner Entscheidung zur |
18 | Volkszählung, also im Hinblick auf eine staatliche Maßnahme, |
19 | beschrieben hat, ist einerseits - als Ausprägung des |
20 | allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. |
21 | Art. 1 Abs. 1 GG – ein individuelles Abwehrrecht gegenüber |
22 | staatlichen Eingriffen. |
23 | |
24 | Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wirkt |
25 | sich das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aber |
26 | darüberhinaus im Sinne einer Drittwirkung auch auf die |
27 | Auslegung und Anwendung privatrechtlicher Vorschriften aus |
28 | und begründet staatliche Schutzpflichten. Die staatliche |
29 | Gewalt ist danach verpflichtet, dem Einzelnen seine |
30 | informationelle Selbstbestimmung im Verhältnis zu Dritten zu |
31 | ermöglichen. [Fußnote: BVerG, Beschluss vom 23.10.2006 – BvR |
32 | 2027//02, Rn 30.]Gegebenenfalls müssen staatlicherseits die |
33 | rechtlichen Bedingungen geschaffen und erhalten werden, |
34 | unter denen der Einzelne selbstbestimmt an |
35 | Kommunikationsprozessen teilnehmen kann. [Fußnote: BVerG, |
36 | Beschluss vom 23.10.2006 – BvR 2027//02, Rn. 33.] |
37 | |
38 | Nicht jede Beeinträchtigung eines grundrechtlichen |
39 | Schutzbereichs führt per se zur Verfassungswidrigkeit der |
40 | Maßnahme. Zum einen kann der Betroffene in die Maßnahme |
41 | einwilligen und seine Daten freiwillig preisgeben, was vom |
42 | Staat zu respektieren ist. [Fußnote: Vgl. BVerfG-K, 1 BvR |
43 | 2027/02 vom 23.10.2006, Absatz-Nr. 34, |
44 | http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk20061023_1bvr202702.ht |
45 | ml; Schoch, JURA 2008. 352, 357.] Aber auch ohne |
46 | Einwilligung wird der verfassungsrechtliche Datenschutz |
47 | nicht grenzenlos gewährleistet, sondern kann beschränkt |
48 | werden. Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu bereits 1983 |
49 | im sogenannten Volkszählungsurteil dargelegt: "Das |
50 | Grundrecht gewährleistet insoweit die Befugnis des |
51 | Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und |
52 | Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen. |
53 | Einschränkungen dieses Rechts auf "informationelle |
54 | Selbstbestimmung" sind nur im überwiegenden |
55 | Allgemeininteresse zulässig." |
56 | |
57 | Für diese Schrankenziehung hat das BVerfG seit dem |
58 | Volkszählungsurteil eine Reihe von Vorgaben aufgestellt, die |
59 | es zu beachten gilt. Dabei gelten für die genannten |
60 | Grundrechte weitgehend die gleichen Maßstäbe. [Fußnote: Vgl. |
61 | BVerfGE 115, 320, 347; Gurlit, NJW 2010, 1035, 1037 f.] |
62 | |
63 | Grundlegende Voraussetzung für einen zulässigen Eingriff in |
64 | das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist das |
65 | Vorhandensein einer gesetzlichen Grundlage, welche die |
66 | Voraussetzungen und den Umfang der Beschränkungen klar |
67 | erkennen lässt. [Fußnote: BVerfGE 65, 1, 44.] Das |
68 | Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage (Gesetzesvorbehalt) |
69 | folgt bereits aus Art. 2 Abs. 1 GG, wonach das allgemeine |
70 | Persönlichkeitsrecht nur innerhalb der verfassungsmäßigen |
71 | Ordnung gewährleistet wird. Die gesetzliche Grundlage muss |
72 | dem Gebot der Normenklarheit entsprechen, was bedeutet, dass |
73 | Anlass, Zweck und Grenzen eines Eingriffs in der |
74 | Ermächtigung bereichsspezifisch, präzise und für den Bürger |
75 | klar erkennbar festgelegt werden müssen. [Fußnote: |
76 | Kühling/Seidel/Sivridis, Datenschutzrecht, S. 79 m.w.N. aus |
77 | der Rspr. des BVerfG.] |
78 | |
79 | Weiterhin muss der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachtet |
80 | werden. Das bedeutet, dass die Maßnahme einen legitimen |
81 | Zweck verfolgen, zu dessen Erreichung geeignet, erforderlich |
82 | und verhältnismäßig sein muss. [Fußnote: BVerfGE 115, 320, |
83 | 345 ff.] Der Zweck muss von vornherein bestimmt sein. Die |
84 | ständige Rechtsprechung des BVerfG bringt deutlich zum |
85 | Ausdruck, „dass dem Staat eine Sammlung von |
86 | personenbezogenen Daten auf Vorrat zu unbestimmten oder noch |
87 | nicht bestimmbaren Zwecken verfassungsrechtlich strikt |
88 | untersagt ist.“ [Fußnote: BVerfG NJW 2010, 833, 839 Rn. |
89 | 213.] |
90 | Es besteht demnach ein "Schutz des Einzelnen gegen |
91 | unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und |
92 | Weitergabe seiner persönlichen Daten". Das Grundrecht auf |
93 | informationelle Selbstbestimmung wird als besondere |
94 | Ausprägung des schon zuvor grundrechtlich geschützten |
95 | allgemeinen Persönlichkeitsrechts angesehen. Wie dieses |
96 | wird es verfassungsrechtlich aus Art. 2 Abs. 1 (sog. |
97 | allgemeine Handlungsfreiheit) in Verbindung mit Art. 1 Abs. |
98 | 1 GG (Menschenwürde-Garantie) hergeleitet. |
99 | |
100 | In der Verhältnismäßigkeitsprüfung findet eine Güterabwägung |
101 | zwischen dem verfolgten Zweck und dem Recht auf |
102 | informationelle Selbstbestimmung statt. Dabei ist von der |
103 | Prämisse auszugehen, dass Grundrechte „jeweils nur soweit |
104 | beschränkt werden dürfen, als es zum Schutze öffentlicher |
105 | Interessen unerlässlich ist.“ [Fußnote: BVerfGE 65, 1, 44.] |
106 | In der Abwägung ist vor allem das Gewicht der |
107 | Grundrechtsbeeinträchtigung zu beachten. Bei der Beurteilung |
108 | der Schwere des Eingriffs sind z.B. die folgenden Kriterien |
109 | zu berücksichtigen: |
110 | |
111 | • in welche Sphäre die Maßnahme eingreift (Sozial-, Privat- |
112 | oder Intimsphäre). [Fußnote: In die Intimsphäre darf gar |
113 | nicht eingegriffen werden, in die Privat- oder |
114 | Geheimnissphäre nur unter besonders strenger Wahrung des |
115 | Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und in die Sozialsphäre |
116 | bereits nach den Kriterien, die für einen Eingriff in die |
117 | allgemeine Handlungsfreiheit gelten. Vgl. Murswiek, in: |
118 | Sachs, GG, Art. 2 Rn. 104 m.w.N.] Die unterschiedliche |
119 | Schutzintensität der drei Sphären kann aber nicht im Sinne |
120 | eines starren Schemas verstanden werden, sondern nur als |
121 | erster Orientierungspunkt für die Intensität der |
122 | Grundrechtsbeeinträchtigung und für die Gewichtung der diese |
123 | Beeinträchtigung rechtfertigenden Gründe. |
124 | |
125 | • wie viele Grundrechtsträger betroffen sind; [Fußnote: |
126 | BVerfGE 115, 320, 347.] |
127 | |
128 | • wie intensiv die Beeinträchtigungen sind; [Fußnote: |
129 | BVerfGE 115, 320, 347.] |
130 | |
131 | • welche Inhalte von dem Eingriff erfasst werden, |
132 | insbesondere welchen Grad an Persönlichkeitsrelevanz die |
133 | betroffenen Informationen je für sich und in ihrer |
134 | Verknüpfung mit anderen aufweisen; [Fußnote: BVerfGE 115, |
135 | 320, 348.] |
136 | |
137 | • ob besondere Vertraulichkeitserwartungen verletzt werden; |
138 | [Fußnote: BVerfGE 115, 320, 348.] |
139 | |
140 | • auf welchem Weg die Inhalte erlangt werden; [Fußnote: |
141 | BVerfGE 115, 320, 348.] |
142 | |
143 | • welche weiteren Folgen oder Nachteile die Datenerhebung |
144 | nach sich ziehen kann, z.B. |
145 | |
146 | - das Risiko, Gegenstand staatlicher Ermittlungsmaßnahmen zu |
147 | werden, das über das allgemeine Risiko hinausgeht, einem |
148 | unberechtigten Verdacht-ausgesetzt zu werden, |
149 | |
150 | - eine stigmatisierende Wirkung; [Fußnote: BVerfGE 115, 320, |
151 | 351 ff.] |
152 | |
153 | • die Heimlichkeit einer staatlichen Maßnahme, welche z.B. |
154 | die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Rechtsschutz im |
155 | Vergleich zur offenen Datenerhebung wesentlich erschwert; |
156 | [Fußnote: Vgl. z.B. BVerfGE 120, 274, 325; 124, 43, 62 f. |
157 | und 65 f.] |
158 | |
159 | • der Verdachtsgrad; |
160 | |
161 | • über welchen Zeitraum die Daten erhoben, verarbeitet und |
162 | genutzt werden können; |
163 | |
164 | • und die Streubreite einer Maßnahme. |
165 | |
166 | Zum zuletzt genannten Punkt hat das BVerfG ausgeführt: |
167 | „Grundrechtseingriffe, die sowohl durch Verdachtslosigkeit |
168 | als auch durch eine große Streubreite gekennzeichnet sind – |
169 | bei denen also zahlreiche Personen in den Wirkungsbereich |
170 | einer Maßnahme einbezogen werden, die in keiner Beziehung zu |
171 | einem konkreten Fehlverhalten stehen und den Eingriff durch |
172 | ihr Verhalten nicht veranlasst haben – weisen grundsätzlich |
173 | eine hohe Eingriffsintensität auf…. Denn der Einzelne ist in |
174 | seiner grundrechtlichen Freiheit umso intensiver betroffen, |
175 | je weniger er selbst für einen staatlichen Eingriff Anlass |
176 | gegeben hat. Von solchen Eingriffen können ferner |
177 | Einschüchterungseffekte ausgehen, die zu Beeinträchtigungen |
178 | bei der Ausübung von Grundrechten führen können. … Es |
179 | gefährdet die Unbefangenheit des Verhaltens, wenn die |
180 | Streubreite von Ermittlungsmaßnahmen dazu beiträgt, dass |
181 | Risiken des Missbrauchs und ein Gefühl des Überwachtwerdens |
182 | entstehen … .“ [Fußnote: BVerfGE 115, 320, 354 f.] |
183 | |
184 | Das Bundesverfassungsgericht hat eine anlasslose Speicherung |
185 | von Telekommunikationsverkehrsdaten zwar nicht schlechthin |
186 | als verfassungswidrig angesehen, aber betont, dass es sich |
187 | um einen besonders schweren Eingriff handele, der höchsten |
188 | verfassungsrechtlichen Anforderungen bei der Ausgestaltung |
189 | der Regelungen unterliegt. |
190 | |
191 | Je schwerer die Grundrechtsbeeinträchtigung wiegt, desto |
192 | höher muss das staatliche Schutzgut wiegen, um den Eingriff |
193 | rechtfertigen zu können. In die Waagschale gelegt werden |
194 | können hier z.B.: |
195 | |
196 | • die Sicherheit des Staates als verfasste Friedens- und |
197 | Ordnungsmacht und die von ihm zu gewährleistende Sicherheit |
198 | der Bevölkerung vor Gefahren für Leib, Leben und Freiheit;[ |
199 | Fußnote: BVerfGE 120, 274, 319 und 328.] |
200 | |
201 | • die Abwehr von Beeinträchtigungen der Grundlagen einer |
202 | freiheitlichen demokratischen Grundordnung; [Fußnote: |
203 | BVerfGE 115, 320, 358.] |
204 | |
205 | • die Sicherung der Funktionsfähigkeit wesentlicher Teile |
206 | existenzsichernder öffentlicher Versorgungseinrichtungen; |
207 | [Fußnote: BVerfGE 120, 274, 328.] |
208 | |
209 | • die Verhütung und Verfolgung von Straftaten von |
210 | erheblicher Bedeutung [Fußnote: BVerfGE 113, 348, 385.]bzw. |
211 | schwerwiegender Straftaten. [Fußnote: BVerfG NJW 2010, 833, |
212 | 848 Rn. 279.] |
213 | |
214 | Eine absolute Grenze der Zulässigkeit einer Datenerhebung |
215 | bildet die Schranken-Schranke des unantastbaren Kernbereichs |
216 | privater Lebensgestaltung, insbesondere im Bereich der |
217 | Intimsphäre. Staatliche Stellen „haben einen unantastbaren |
218 | Kernbereich privater Lebensgestaltung zu wahren, dessen |
219 | Schutz sich aus Art. 1 Abs. 1 GG ergibt. … Selbst |
220 | überwiegende Interessen der Allgemeinheit können einen |
221 | Eingriff in ihn nicht rechtfertigen … Zur Entfaltung der |
222 | Persönlichkeit im Kernbereich privater Lebensgestaltung |
223 | gehört die Möglichkeit, innere Vorgänge wie Empfindungen und |
224 | Gefühle sowie Überlegungen, Ansichten und Erlebnisse |
225 | höchstpersönlicher Art ohne die Angst zum Ausdruck zu |
226 | bringen, dass staatliche Stellen dies überwachen.“ [Fußnote: |
227 | BVerfGE 120, 274, 335.] Deshalb hat das BVerfG als |
228 | Voraussetzung für einen Zugriff auf einen Bereich, in dem |
229 | solche Kernbereichsdaten (z.B. tagebuchartige |
230 | Aufzeichnungen, private Film- oder Tondokumente, |
231 | höchstpersönliche Telefonate oder Emails) zu vermuten sind, |
232 | das Erfordernis besonderer gesetzlicher Vorkehrungen |
233 | aufgestellt, um den Kernbereich der privaten |
234 | Lebensgestaltung zu schützen. [Fußnote: BVerfGE 120, 274, |
235 | 336 ff.]So lässt sich die (beiläufige) Erfassung solcher |
236 | Daten nicht immer verhindern. Jedoch sind entsprechende |
237 | Maßnahmen abzubrechen, sobald erkannt wird, dass sie in den |
238 | Kernbereich vordringen oder zumindest im Nachhinein umgehend |
239 | zu löschen. [Fußnote: BVerfGE 120, 274, 337.] |
240 | |
241 | Aber auch unabhängig von diesem Kernbereich hat der |
242 | Gesetzgeber „organisatorische und verfahrensrechtliche |
243 | Vorkehrungen zu treffen, welche der Gefahr einer Verletzung |
244 | des Persönlichkeitsrechts entgegenwirken.“ [Fußnote: BVerfGE |
245 | 65, 1, 44.] Dazu gehört auch die Sicherheit der Daten. So |
246 | hat das BVerfG in seiner Entscheidung zur |
247 | Vorratsdatenspeicherung vor allem die „gesetzliche |
248 | Gewährleistung eines besonders hohen Standards der |
249 | Datensicherheit“ eingefordert. [Fußnote: BVerfG NJW 2010, |
250 | 833, 840 Rn. 221.] |
251 | |
252 | Im Falle des heimlichen Zugriffes auf die |
253 | Datenverarbeitungsanlagen von Privatpersonen durch |
254 | Sicherheitsbehörden (sog. Online-Durchsuchung) bestehen |
255 | besonders hohe Hürden für den Gesetzgeber, die sich |
256 | vorrangig aus dem neugeschaffenen Grundrecht auf |
257 | Vertraulichkeit und der Integrität informationstechnischer |
258 | Systeme ableiten. Sie sind nur zulässig, wenn Gefahren für |
259 | überragend wichtige Rechtsgüter bestehen, die sich in |
260 | Gestalt von tatsächlichen Anhaltspunkten einer konkreten |
261 | Gefahr manifestieren. Neben dem grundsätzlich geltenden |
262 | Vorbehalt richterlicher Anordnung müssen u.a. auch |
263 | Vorkehrungen getroffen werden, die den Kernbereich privater |
264 | Lebensgestaltung schützen. |
Der Text verglichen mit der Originalversion
1 | Gerade im Bereich des Internet sind zum Teil schwierige |
2 | Grundrechtskollisionen vorgezeichnet, wie z.B. die sog. |
3 | Spickmich-Entscheidung des BGH zeigt. Pauschale |
4 | Gegenüberstellungen etwa mit dem Eigentumsgrundrecht oder |
5 | der Berufausübungsfreiheit aber verbieten sich, da oft genug |
6 | gefragt werden muss, ob bestimmte Grundrechtsausübungen |
7 | zugleich den Schutz des Umgangs mit den Daten von dritten |
8 | Grundrechtsträgern umfassen. Hier ist eine besonders |
9 | differenzierte Darstellung zu empfehlen. |
10 | |
11 | Jedermann hat das Recht, über die Preisgabe und Verwendung |
12 | seiner persönlichen Daten grundsätzlich selbst zu bestimmen. |
13 | Einschränkungen dieses Rechts auf informationelle |
14 | Selbstbestimmung sind nur im überwiegenden |
15 | Allgemeininteresse zulässig. Dieses „Recht auf |
16 | informationelle Selbstbestimmung“, wie es das |
17 | Bundesverfassungsgericht 1983 in seiner Entscheidung zur |
18 | Volkszählung, also im Hinblick auf eine staatliche Maßnahme, |
19 | beschrieben hat, ist einerseits - als Ausprägung des |
20 | allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. |
21 | Art. 1 Abs. 1 GG – ein individuelles Abwehrrecht gegenüber |
22 | staatlichen Eingriffen. |
23 | |
24 | Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wirkt |
25 | sich das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aber |
26 | darüberhinaus im Sinne einer Drittwirkung auch auf die |
27 | Auslegung und Anwendung privatrechtlicher Vorschriften aus |
28 | und begründet staatliche Schutzpflichten. Die staatliche |
29 | Gewalt ist danach verpflichtet, dem Einzelnen seine |
30 | informationelle Selbstbestimmung im Verhältnis zu Dritten zu |
31 | ermöglichen. [Fußnote: BVerG, Beschluss vom 23.10.2006 – BvR |
32 | 2027//02, Rn 30.]Gegebenenfalls müssen staatlicherseits die |
33 | rechtlichen Bedingungen geschaffen und erhalten werden, |
34 | unter denen der Einzelne selbstbestimmt an |
35 | Kommunikationsprozessen teilnehmen kann. [Fußnote: BVerG, |
36 | Beschluss vom 23.10.2006 – BvR 2027//02, Rn. 33.] |
37 | |
38 | Nicht jede Beeinträchtigung eines grundrechtlichen |
39 | Schutzbereichs führt per se zur Verfassungswidrigkeit der |
40 | Maßnahme. Zum einen kann der Betroffene in die Maßnahme |
41 | einwilligen und seine Daten freiwillig preisgeben, was vom |
42 | Staat zu respektieren ist. [Fußnote: Vgl. BVerfG-K, 1 BvR |
43 | 2027/02 vom 23.10.2006, Absatz-Nr. 34, |
44 | http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk20061023_1bvr202702.ht |
45 | ml; Schoch, JURA 2008. 352, 357.] Aber auch ohne |
46 | Einwilligung wird der verfassungsrechtliche Datenschutz |
47 | nicht grenzenlos gewährleistet, sondern kann beschränkt |
48 | werden. Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu bereits 1983 |
49 | im sogenannten Volkszählungsurteil dargelegt: "Das |
50 | Grundrecht gewährleistet insoweit die Befugnis des |
51 | Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und |
52 | Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen. |
53 | Einschränkungen dieses Rechts auf "informationelle |
54 | Selbstbestimmung" sind nur im überwiegenden |
55 | Allgemeininteresse zulässig." |
56 | |
57 | Für diese Schrankenziehung hat das BVerfG seit dem |
58 | Volkszählungsurteil eine Reihe von Vorgaben aufgestellt, die |
59 | es zu beachten gilt. Dabei gelten für die genannten |
60 | Grundrechte weitgehend die gleichen Maßstäbe. [Fußnote: Vgl. |
61 | BVerfGE 115, 320, 347; Gurlit, NJW 2010, 1035, 1037 f.] |
62 | |
63 | Grundlegende Voraussetzung für einen zulässigen Eingriff in |
64 | das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist das |
65 | Vorhandensein einer gesetzlichen Grundlage, welche die |
66 | Voraussetzungen und den Umfang der Beschränkungen klar |
67 | erkennen lässt. [Fußnote: BVerfGE 65, 1, 44.] Das |
68 | Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage (Gesetzesvorbehalt) |
69 | folgt bereits aus Art. 2 Abs. 1 GG, wonach das allgemeine |
70 | Persönlichkeitsrecht nur innerhalb der verfassungsmäßigen |
71 | Ordnung gewährleistet wird. Die gesetzliche Grundlage muss |
72 | dem Gebot der Normenklarheit entsprechen, was bedeutet, dass |
73 | Anlass, Zweck und Grenzen eines Eingriffs in der |
74 | Ermächtigung bereichsspezifisch, präzise und für den Bürger |
75 | klar erkennbar festgelegt werden müssen. [Fußnote: |
76 | Kühling/Seidel/Sivridis, Datenschutzrecht, S. 79 m.w.N. aus |
77 | der Rspr. des BVerfG.] |
78 | |
79 | Weiterhin muss der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachtet |
80 | werden. Das bedeutet, dass die Maßnahme einen legitimen |
81 | Zweck verfolgen, zu dessen Erreichung geeignet, erforderlich |
82 | und verhältnismäßig sein muss. [Fußnote: BVerfGE 115, 320, |
83 | 345 ff.] Der Zweck muss von vornherein bestimmt sein. Die |
84 | ständige Rechtsprechung des BVerfG bringt deutlich zum |
85 | Ausdruck, „dass dem Staat eine Sammlung von |
86 | personenbezogenen Daten auf Vorrat zu unbestimmten oder noch |
87 | nicht bestimmbaren Zwecken verfassungsrechtlich strikt |
88 | untersagt ist.“ [Fußnote: BVerfG NJW 2010, 833, 839 Rn. |
89 | 213.] |
90 | Es besteht demnach ein "Schutz des Einzelnen gegen |
91 | unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und |
92 | Weitergabe seiner persönlichen Daten". Das Grundrecht auf |
93 | informationelle Selbstbestimmung wird als besondere |
94 | Ausprägung des schon zuvor grundrechtlich geschützten |
95 | allgemeinen Persönlichkeitsrechts angesehen. Wie dieses |
96 | wird es verfassungsrechtlich aus Art. 2 Abs. 1 (sog. |
97 | allgemeine Handlungsfreiheit) in Verbindung mit Art. 1 Abs. |
98 | 1 GG (Menschenwürde-Garantie) hergeleitet. |
99 | |
100 | In der Verhältnismäßigkeitsprüfung findet eine Güterabwägung |
101 | zwischen dem verfolgten Zweck und dem Recht auf |
102 | informationelle Selbstbestimmung statt. Dabei ist von der |
103 | Prämisse auszugehen, dass Grundrechte „jeweils nur soweit |
104 | beschränkt werden dürfen, als es zum Schutze öffentlicher |
105 | Interessen unerlässlich ist.“ [Fußnote: BVerfGE 65, 1, 44.] |
106 | In der Abwägung ist vor allem das Gewicht der |
107 | Grundrechtsbeeinträchtigung zu beachten. Bei der Beurteilung |
108 | der Schwere des Eingriffs sind z.B. die folgenden Kriterien |
109 | zu berücksichtigen: |
110 | |
111 | • in welche Sphäre die Maßnahme eingreift (Sozial-, Privat- |
112 | oder Intimsphäre). [Fußnote: In die Intimsphäre darf gar |
113 | nicht eingegriffen werden, in die Privat- oder |
114 | Geheimnissphäre nur unter besonders strenger Wahrung des |
115 | Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und in die Sozialsphäre |
116 | bereits nach den Kriterien, die für einen Eingriff in die |
117 | allgemeine Handlungsfreiheit gelten. Vgl. Murswiek, in: |
118 | Sachs, GG, Art. 2 Rn. 104 m.w.N.] Die unterschiedliche |
119 | Schutzintensität der drei Sphären kann aber nicht im Sinne |
120 | eines starren Schemas verstanden werden, sondern nur als |
121 | erster Orientierungspunkt für die Intensität der |
122 | Grundrechtsbeeinträchtigung und für die Gewichtung der diese |
123 | Beeinträchtigung rechtfertigenden Gründe. |
124 | |
125 | • wie viele Grundrechtsträger betroffen sind; [Fußnote: |
126 | BVerfGE 115, 320, 347.] |
127 | |
128 | • wie intensiv die Beeinträchtigungen sind; [Fußnote: |
129 | BVerfGE 115, 320, 347.] |
130 | |
131 | • welche Inhalte von dem Eingriff erfasst werden, |
132 | insbesondere welchen Grad an Persönlichkeitsrelevanz die |
133 | betroffenen Informationen je für sich und in ihrer |
134 | Verknüpfung mit anderen aufweisen; [Fußnote: BVerfGE 115, |
135 | 320, 348.] |
136 | |
137 | • ob besondere Vertraulichkeitserwartungen verletzt werden; |
138 | [Fußnote: BVerfGE 115, 320, 348.] |
139 | |
140 | • auf welchem Weg die Inhalte erlangt werden; [Fußnote: |
141 | BVerfGE 115, 320, 348.] |
142 | |
143 | • welche weiteren Folgen oder Nachteile die Datenerhebung |
144 | nach sich ziehen kann, z.B. |
145 | |
146 | - das Risiko, Gegenstand staatlicher Ermittlungsmaßnahmen zu |
147 | werden, das über das allgemeine Risiko hinausgeht, einem |
148 | unberechtigten Verdacht-ausgesetzt zu werden, |
149 | |
150 | - eine stigmatisierende Wirkung; [Fußnote: BVerfGE 115, 320, |
151 | 351 ff.] |
152 | |
153 | • die Heimlichkeit einer staatlichen Maßnahme, welche z.B. |
154 | die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Rechtsschutz im |
155 | Vergleich zur offenen Datenerhebung wesentlich erschwert; |
156 | [Fußnote: Vgl. z.B. BVerfGE 120, 274, 325; 124, 43, 62 f. |
157 | und 65 f.] |
158 | |
159 | • der Verdachtsgrad; |
160 | |
161 | • über welchen Zeitraum die Daten erhoben, verarbeitet und |
162 | genutzt werden können; |
163 | |
164 | • und die Streubreite einer Maßnahme. |
165 | |
166 | Zum zuletzt genannten Punkt hat das BVerfG ausgeführt: |
167 | „Grundrechtseingriffe, die sowohl durch Verdachtslosigkeit |
168 | als auch durch eine große Streubreite gekennzeichnet sind – |
169 | bei denen also zahlreiche Personen in den Wirkungsbereich |
170 | einer Maßnahme einbezogen werden, die in keiner Beziehung zu |
171 | einem konkreten Fehlverhalten stehen und den Eingriff durch |
172 | ihr Verhalten nicht veranlasst haben – weisen grundsätzlich |
173 | eine hohe Eingriffsintensität auf…. Denn der Einzelne ist in |
174 | seiner grundrechtlichen Freiheit umso intensiver betroffen, |
175 | je weniger er selbst für einen staatlichen Eingriff Anlass |
176 | gegeben hat. Von solchen Eingriffen können ferner |
177 | Einschüchterungseffekte ausgehen, die zu Beeinträchtigungen |
178 | bei der Ausübung von Grundrechten führen können. … Es |
179 | gefährdet die Unbefangenheit des Verhaltens, wenn die |
180 | Streubreite von Ermittlungsmaßnahmen dazu beiträgt, dass |
181 | Risiken des Missbrauchs und ein Gefühl des Überwachtwerdens |
182 | entstehen … .“ [Fußnote: BVerfGE 115, 320, 354 f.] |
183 | |
184 | Das Bundesverfassungsgericht hat eine anlasslose Speicherung |
185 | von Telekommunikationsverkehrsdaten zwar nicht schlechthin |
186 | als verfassungswidrig angesehen, aber betont, dass es sich |
187 | um einen besonders schweren Eingriff handele, der höchsten |
188 | verfassungsrechtlichen Anforderungen bei der Ausgestaltung |
189 | der Regelungen unterliegt. |
190 | |
191 | Je schwerer die Grundrechtsbeeinträchtigung wiegt, desto |
192 | höher muss das staatliche Schutzgut wiegen, um den Eingriff |
193 | rechtfertigen zu können. In die Waagschale gelegt werden |
194 | können hier z.B.: |
195 | |
196 | • die Sicherheit des Staates als verfasste Friedens- und |
197 | Ordnungsmacht und die von ihm zu gewährleistende Sicherheit |
198 | der Bevölkerung vor Gefahren für Leib, Leben und Freiheit;[ |
199 | Fußnote: BVerfGE 120, 274, 319 und 328.] |
200 | |
201 | • die Abwehr von Beeinträchtigungen der Grundlagen einer |
202 | freiheitlichen demokratischen Grundordnung; [Fußnote: |
203 | BVerfGE 115, 320, 358.] |
204 | |
205 | • die Sicherung der Funktionsfähigkeit wesentlicher Teile |
206 | existenzsichernder öffentlicher Versorgungseinrichtungen; |
207 | [Fußnote: BVerfGE 120, 274, 328.] |
208 | |
209 | • die Verhütung und Verfolgung von Straftaten von |
210 | erheblicher Bedeutung [Fußnote: BVerfGE 113, 348, 385.]bzw. |
211 | schwerwiegender Straftaten. [Fußnote: BVerfG NJW 2010, 833, |
212 | 848 Rn. 279.] |
213 | |
214 | Eine absolute Grenze der Zulässigkeit einer Datenerhebung |
215 | bildet die Schranken-Schranke des unantastbaren Kernbereichs |
216 | privater Lebensgestaltung, insbesondere im Bereich der |
217 | Intimsphäre. Staatliche Stellen „haben einen unantastbaren |
218 | Kernbereich privater Lebensgestaltung zu wahren, dessen |
219 | Schutz sich aus Art. 1 Abs. 1 GG ergibt. … Selbst |
220 | überwiegende Interessen der Allgemeinheit können einen |
221 | Eingriff in ihn nicht rechtfertigen … Zur Entfaltung der |
222 | Persönlichkeit im Kernbereich privater Lebensgestaltung |
223 | gehört die Möglichkeit, innere Vorgänge wie Empfindungen und |
224 | Gefühle sowie Überlegungen, Ansichten und Erlebnisse |
225 | höchstpersönlicher Art ohne die Angst zum Ausdruck zu |
226 | bringen, dass staatliche Stellen dies überwachen.“ [Fußnote: |
227 | BVerfGE 120, 274, 335.] Deshalb hat das BVerfG als |
228 | Voraussetzung für einen Zugriff auf einen Bereich, in dem |
229 | solche Kernbereichsdaten (z.B. tagebuchartige |
230 | Aufzeichnungen, private Film- oder Tondokumente, |
231 | höchstpersönliche Telefonate oder Emails) zu vermuten sind, |
232 | das Erfordernis besonderer gesetzlicher Vorkehrungen |
233 | aufgestellt, um den Kernbereich der privaten |
234 | Lebensgestaltung zu schützen. [Fußnote: BVerfGE 120, 274, |
235 | 336 ff.]So lässt sich die (beiläufige) Erfassung solcher |
236 | Daten nicht immer verhindern. Jedoch sind entsprechende |
237 | Maßnahmen abzubrechen, sobald erkannt wird, dass sie in den |
238 | Kernbereich vordringen oder zumindest im Nachhinein umgehend |
239 | zu löschen. [Fußnote: BVerfGE 120, 274, 337.] |
240 | |
241 | Aber auch unabhängig von diesem Kernbereich hat der |
242 | Gesetzgeber „organisatorische und verfahrensrechtliche |
243 | Vorkehrungen zu treffen, welche der Gefahr einer Verletzung |
244 | des Persönlichkeitsrechts entgegenwirken.“ [Fußnote: BVerfGE |
245 | 65, 1, 44.] Dazu gehört auch die Sicherheit der Daten. So |
246 | hat das BVerfG in seiner Entscheidung zur |
247 | Vorratsdatenspeicherung vor allem die „gesetzliche |
248 | Gewährleistung eines besonders hohen Standards der |
249 | Datensicherheit“ eingefordert. [Fußnote: BVerfG NJW 2010, |
250 | 833, 840 Rn. 221.] |
251 | |
252 | Im Falle des heimlichen Zugriffes auf die |
253 | Datenverarbeitungsanlagen von Privatpersonen durch |
254 | Sicherheitsbehörden (sog. Online-Durchsuchung) bestehen |
255 | besonders hohe Hürden für den Gesetzgeber, die sich |
256 | vorrangig aus dem neugeschaffenen Grundrecht auf |
257 | Vertraulichkeit und der Integrität informationstechnischer |
258 | Systeme ableiten. Sie sind nur zulässig, wenn Gefahren für |
259 | überragend wichtige Rechtsgüter bestehen, die sich in |
260 | Gestalt von tatsächlichen Anhaltspunkten einer konkreten |
261 | Gefahr manifestieren. Neben dem grundsätzlich geltenden |
262 | Vorbehalt richterlicher Anordnung müssen u.a. auch |
263 | Vorkehrungen getroffen werden, die den Kernbereich privater |
264 | Lebensgestaltung schützen. |
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