1 | Gerade im Bereich des Internet sind zum Teil schwierige |
2 | Grundrechtskollisionen vorgezeichnet, wie z.B. die sog. |
3 | Spickmich-Entscheidung des BGH zeigt. Pauschale |
4 | Gegenüberstellungen etwa mit dem Eigentumsgrundrecht oder |
5 | der Berufausübungsfreiheit aber verbieten sich, da oft genug |
6 | gefragt werden muss, ob bestimmte Grundrechtsausübungen |
7 | zugleich den Schutz des Umgangs mit den Daten von dritten |
8 | Grundrechtsträgern umfassen. Hier ist eine besonders |
9 | differenzierte Darstellung zu empfehlen. |
10 | Jedermann hat das Recht, über die Preisgabe und Verwendung |
11 | seiner persönlichen Daten grundsätzlich selbst zu bestimmen. |
12 | Einschränkungen dieses Rechts auf informationelle |
13 | Selbstbestimmung sind nur im überwiegenden |
14 | Allgemeininteresse zulässig. Dieses „Recht auf |
15 | informationelle Selbstbestimmung“, wie es das |
16 | Bundesverfassungsgericht 1983 in seiner Entscheidung zur |
17 | Volkszählung, also im Hinblick auf eine staatliche Maßnahme, |
18 | beschrieben hat, ist einerseits - als Ausprägung des |
19 | allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. |
20 | Art. 1 Abs. 1 GG – ein individuelles Abwehrrecht gegenüber |
21 | staatlichen Eingriffen. |
22 | Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wirkt |
23 | sich das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aber |
24 | darüberhinaus im Sinne einer Drittwirkung auch auf die |
25 | Auslegung und Anwendung privatrechtlicher Vorschriften aus |
26 | und begründet staatliche Schutzpflichten. Die staatliche |
27 | Gewalt ist danach verpflichtet, dem Einzelnen seine |
28 | informationelle Selbstbestimmung im Verhältnis zu Dritten zu |
29 | ermöglichen. [Fußnote: BVerG, Beschluss vom 23.10.2006 – BvR |
30 | 2027//02, Rn 30.]Gegebenenfalls müssen staatlicherseits die |
31 | rechtlichen Bedingungen geschaffen und erhalten werden, |
32 | unter denen der Einzelne selbstbestimmt an |
33 | Kommunikationsprozessen teilnehmen kann. [Fußnote: BVerG, |
34 | Beschluss vom 23.10.2006 – BvR 2027//02, Rn. 33.] |
35 | Nicht jede Beeinträchtigung eines grundrechtlichen |
36 | Schutzbereichs führt per se zur Verfassungswidrigkeit der |
37 | Maßnahme. Zum einen kann der Betroffene in die Maßnahme |
38 | einwilligen und seine Daten freiwillig preisgeben, was vom |
39 | Staat zu respektieren ist. [Fußnote: Vgl. BVerfG-K, 1 BvR |
40 | 2027/02 vom 23.10.2006, Absatz-Nr. 34, |
41 | http://www.bverfg.de/entscheidun-gen/rk20061023_1bvr202702.h |
42 | tml; Schoch, JURA 2008. 352, 357.] Aber auch ohne |
43 | Einwilligung wird der verfassungsrechtliche Datenschutz |
44 | nicht grenzenlos gewährleistet, sondern kann beschränkt |
45 | werden. Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu bereits 1983 |
46 | im sogenannten Volkszählungsurteil dargelegt: "Das |
47 | Grundrecht gewährleistet insoweit die Befugnis des |
48 | Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und |
49 | Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen. |
50 | Einschränkungen dieses Rechts auf "informationelle |
51 | Selbstbestimmung" sind nur im überwiegenden |
52 | Allgemeininteresse zulässig." |
53 | Für diese Schrankenziehung hat das BVerfG seit dem |
54 | Volkszählungsurteil eine Reihe von Vorgaben aufgestellt, die |
55 | es zu beachten gilt. Dabei gelten für die genannten |
56 | Grundrechte weitgehend die gleichen Maßstäbe. [Fußnote: Vgl. |
57 | BVerfGE 115, 320, 347; Gurlit, NJW 2010, 1035, 1037 f.] |
58 | Grundlegende Voraussetzung für einen zulässigen Eingriff in |
59 | das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist das |
60 | Vorhandensein einer gesetzlichen Grundlage, welche die |
61 | Voraussetzungen und den Umfang der Beschränkungen klar |
62 | erkennen lässt. [Fußnote: BVerfGE 65, 1, 44.] Das |
63 | Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage (Gesetzesvorbehalt) |
64 | folgt bereits aus Art. 2 Abs. 1 GG, wonach das allgemeine |
65 | Persönlichkeitsrecht nur innerhalb der verfassungsmäßigen |
66 | Ordnung gewährleistet wird. Die gesetzliche Grundlage muss |
67 | dem Gebot der Normenklarheit entsprechen, was bedeutet, dass |
68 | Anlass, Zweck und Grenzen eines Eingriffs in der |
69 | Ermächtigung bereichsspezifisch, präzise und für den Bürger |
70 | klar erkennbar festgelegt werden müssen. [Fußnote: |
71 | Kühling/Seidel/Sivridis, Datenschutzrecht, S. 79 m.w.N. aus |
72 | der Rspr. des BVerfG.] |
73 | Weiterhin muss der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachtet |
74 | werden. Das bedeutet, dass die Maßnahme einen legitimen |
75 | Zweck verfolgen, zu dessen Erreichung geeignet, erforderlich |
76 | und verhältnismäßig sein muss. [Fußnote: BVerfGE 115, 320, |
77 | 345 ff.] Der Zweck muss von vornherein bestimmt sein. Die |
78 | ständige Rechtsprechung des BVerfG bringt deutlich zum |
79 | Ausdruck, „dass dem Staat eine Sammlung von |
80 | personenbezogenen Daten auf Vorrat zu unbestimmten oder noch |
81 | nicht bestimmbaren Zwecken verfassungsrechtlich strikt |
82 | untersagt ist.“ [Fußnote: BVerfG NJW 2010, 833, 839 Rn. |
83 | 213.] |
84 | Es besteht demnach ein "Schutz des Einzelnen gegen |
85 | unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und |
86 | Weitergabe seiner persönlichen Daten". Das Grundrecht auf |
87 | informationelle Selbstbestimmung wird als besondere |
88 | Ausprägung des schon zuvor grundrechtlich geschützten |
89 | allgemeinen Persönlichkeitsrechts angesehen. Wie dieses |
90 | wird es verfassungsrechtlich aus Art. 2 Abs. 1 (sog. |
91 | allgemeine Handlungsfreiheit) in Verbindung mit Art. 1 Abs. |
92 | 1 GG (Menschenwürde-Garantie) hergeleitet. |
93 | In der Verhältnismäßigkeitsprüfung findet eine Güterabwägung |
94 | zwischen dem verfolgten Zweck und dem Recht auf |
95 | informationelle Selbstbestimmung statt. Dabei ist von der |
96 | Prämisse auszugehen, dass Grundrechte „jeweils nur soweit |
97 | beschränkt werden dürfen, als es zum Schutze öffentlicher |
98 | Interessen unerlässlich ist.“ [Fußnote: BVerfGE 65, 1, 44.] |
99 | In der Abwägung ist vor allem das Gewicht der |
100 | Grundrechtsbeeinträchtigung zu beachten. Bei der Beurteilung |
101 | der Schwere des Eingriffs sind z.B. die folgenden Kriterien |
102 | zu berücksichtigen: |
103 | • in welche Sphäre die Maßnahme eingreift (Sozial-, Privat- |
104 | oder Intimsphäre). [Fußnote: In die Intimsphäre darf gar |
105 | nicht eingegriffen werden, in die Privat- oder |
106 | Geheimnissphäre nur unter besonders strenger Wahrung des |
107 | Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und in die Sozialsphäre |
108 | bereits nach den Kriterien, die für einen Eingriff in die |
109 | allgemeine Handlungsfreiheit gelten. Vgl. Murswiek, in: |
110 | Sachs, GG, Art. 2 Rn. 104 m.w.N.] Die unterschiedliche |
111 | Schutzintensität der drei Sphären kann aber nicht im Sinne |
112 | eines starren Schemas verstanden werden, sondern nur als |
113 | erster Orientierungspunkt für die Intensität der |
114 | Grundrechtsbeeinträchtigung und für die Gewichtung der diese |
115 | Beeinträchtigung rechtfertigenden Gründe. |
116 | • wie viele Grundrechtsträger betroffen sind; [Fußnote: |
117 | BVerfGE 115, 320, 347.] |
118 | • wie intensiv die Beeinträchtigungen sind; [Fußnote: |
119 | BVerfGE 115, 320, 347.] |
120 | • welche Inhalte von dem Eingriff erfasst werden, |
121 | insbesondere welchen Grad an Persönlichkeitsrelevanz die |
122 | betroffenen Informationen je für sich und in ihrer |
123 | Verknüpfung mit anderen aufweisen; [Fußnote: BVerfGE 115, |
124 | 320, 348.] |
125 | • ob besondere Vertraulichkeitserwartungen verletzt werden; |
126 | [Fußnote: BVerfGE 115, 320, 348.] |
127 | • auf welchem Weg die Inhalte erlangt werden; [Fußnote: |
128 | BVerfGE 115, 320, 348.] |
129 | • welche weiteren Folgen oder Nachteile die Datenerhebung |
130 | nach sich ziehen kann, z.B. |
131 | - das Risiko, Gegenstand staatlicher Ermittlungsmaßnahmen zu |
132 | werden, das über das allgemeine Risiko hinausgeht, einem |
133 | unberechtigten Verdacht-ausgesetzt zu werden, |
134 | - eine stigmatisierende Wirkung; [Fußnote: BVerfGE 115, 320, |
135 | 351 ff.] |
136 | • die Heimlichkeit einer staatlichen Maßnahme, welche z.B. |
137 | die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Rechtsschutz im |
138 | Vergleich zur offenen Datenerhebung wesentlich erschwert; |
139 | [Fußnote: Vgl. z.B. BVerfGE 120, 274, 325; 124, 43, 62 f. |
140 | und 65 f.] |
141 | • der Verdachtsgrad; |
142 | • über welchen Zeitraum die Daten erhoben, verarbeitet und |
143 | genutzt werden können; |
144 | • und die Streubreite einer Maßnahme. |
145 | Zum zuletzt genannten Punkt hat das BVerfG ausgeführt: |
146 | „Grundrechtseingriffe, die sowohl durch Verdachtslosigkeit |
147 | als auch durch eine große Streubreite gekennzeichnet sind – |
148 | bei denen also zahlreiche Personen in den Wirkungsbereich |
149 | einer Maßnahme einbezogen werden, die in keiner Beziehung zu |
150 | einem konkreten Fehlverhalten stehen und den Eingriff durch |
151 | ihr Verhalten nicht veranlasst haben – weisen grundsätzlich |
152 | eine hohe Eingriffsintensität auf…. Denn der Einzelne ist in |
153 | seiner grundrechtlichen Freiheit umso intensiver betroffen, |
154 | je weniger er selbst für einen staatlichen Eingriff Anlass |
155 | gegeben hat. Von solchen Eingriffen können ferner |
156 | Einschüchterungseffekte ausgehen, die zu Beeinträchtigungen |
157 | bei der Ausübung von Grundrechten führen können. … Es |
158 | gefährdet die Unbefangenheit des Verhaltens, wenn die |
159 | Streubreite von Ermittlungsmaßnahmen dazu beiträgt, dass |
160 | Risiken des Missbrauchs und ein Gefühl des Überwachtwerdens |
161 | entstehen … .“ [Fußnote: BVerfGE 115, 320, 354 f.] |
162 | Das Bundesverfassungsgericht hat eine anlasslose Speicherung |
163 | von Telekommunikationsverkehrsdaten zwar nicht schlechthin |
164 | als verfassungswidrig angesehen, aber betont, dass es sich |
165 | um einen besonders schweren Eingriff handele, der höchsten |
166 | verfassungsrechtlichen Anforderungen bei der Ausgestaltung |
167 | der Regelungen unterliegt. |
168 | Je schwerer die Grundrechtsbeeinträchtigung wiegt, desto |
169 | höher muss das staatliche Schutzgut wiegen, um den Eingriff |
170 | rechtfertigen zu können. In die Waagschale gelegt werden |
171 | können hier z.B.: |
172 | • die Sicherheit des Staates als verfasste Friedens- und |
173 | Ordnungsmacht und die von ihm zu gewährleistende Sicherheit |
174 | der Bevölkerung vor Gefahren für Leib, Leben und Freiheit;[ |
175 | Fußnote: BVerfGE 120, 274, 319 und 328.] |
176 | • die Abwehr von Beeinträchtigungen der Grundlagen einer |
177 | freiheitlichen demokratischen Grundordnung; [Fußnote: |
178 | BVerfGE 115, 320, 358.] |
179 | • die Sicherung der Funktionsfähigkeit wesentlicher Teile |
180 | existenzsichernder öffentlicher Versorgungseinrichtungen; |
181 | [Fußnote: BVerfGE 120, 274, 328.] |
182 | • die Verhütung und Verfolgung von Straftaten von |
183 | erheblicher Bedeutung [Fußnote: BVerfGE 113, 348, 385.]bzw. |
184 | schwerwiegender Straftaten. [Fußnote: BVerfG NJW 2010, 833, |
185 | 848 Rn. 279.] |
186 | Eine absolute Grenze der Zulässigkeit einer Datenerhebung |
187 | bildet die Schranken-Schranke des unantastbaren Kernbereichs |
188 | privater Lebensgestaltung, insbesondere im Bereich der |
189 | Intimsphäre. Staatliche Stellen „haben einen unantastbaren |
190 | Kernbereich privater Lebensgestaltung zu wahren, dessen |
191 | Schutz sich aus Art. 1 Abs. 1 GG ergibt. … Selbst |
192 | überwiegende Interessen der Allgemeinheit können einen |
193 | Eingriff in ihn nicht rechtfertigen … Zur Entfaltung der |
194 | Persönlichkeit im Kernbereich privater Lebensgestaltung |
195 | gehört die Möglichkeit, innere Vorgänge wie Empfindungen und |
196 | Gefühle sowie Überlegungen, Ansichten und Erlebnisse |
197 | höchstpersönlicher Art ohne die Angst zum Ausdruck zu |
198 | bringen, dass staatliche Stellen dies überwachen.“ [Fußnote: |
199 | BVerfGE 120, 274, 335.] Deshalb hat das BVerfG als |
200 | Voraussetzung für einen Zugriff auf einen Bereich, in dem |
201 | solche Kernbereichsdaten (z.B. tagebuchartige |
202 | Aufzeichnungen, private Film- oder Tondokumente, |
203 | höchstpersönliche Telefonate oder Emails) zu vermuten sind, |
204 | das Erfordernis besonderer gesetzlicher Vorkehrungen |
205 | aufgestellt, um den Kernbereich der privaten |
206 | Lebensgestaltung zu schützen. [Fußnote: BVerfGE 120, 274, |
207 | 336 ff.]So lässt sich die (beiläufige) Erfassung solcher |
208 | Daten nicht immer verhindern. Jedoch sind entsprechende |
209 | Maßnahmen abzubrechen, sobald erkannt wird, dass sie in den |
210 | Kernbereich vordringen oder zumindest im Nachhinein umgehend |
211 | zu löschen. [Fußnote: BVerfGE 120, 274, 337.] |
212 | Aber auch unabhängig von diesem Kernbereich hat der |
213 | Gesetzgeber „organisatorische und verfahrensrechtliche |
214 | Vorkehrungen zu treffen, welche der Gefahr einer Verletzung |
215 | des Persönlichkeitsrechts entgegenwirken.“ [Fußnote: BVerfGE |
216 | 65, 1, 44.] Dazu gehört auch die Sicherheit der Daten. So |
217 | hat das BVerfG in seiner Entscheidung zur |
218 | Vorratsdatenspeicherung vor allem die „gesetzliche |
219 | Gewährleistung eines besonders hohen Standards der |
220 | Datensicherheit“ eingefordert. [Fußnote: BVerfG NJW 2010, |
221 | 833, 840 Rn. 221.] |
222 | Im Falle des heimlichen Zugriffes auf die |
223 | Datenverarbeitungsanlagen von Privatpersonen durch |
224 | Sicherheitsbehörden (sog. Online-Durchsuchung) bestehen |
225 | besonders hohe Hürden für den Gesetzgeber, die sich |
226 | vorrangig aus dem neugeschaffenen Grundrecht auf |
227 | Vertraulichkeit und der Integrität informationstechnischer |
228 | Systeme ableiten. Sie sind nur zulässig, wenn Gefahren für |
229 | überragend wichtige Rechtsgüter bestehen, die sich in |
230 | Gestalt von tatsächlichen Anhaltspunkten einer konkreten |
231 | Gefahr manifestieren. Neben dem grundsätzlich geltenden |
232 | Vorbehalt richterlicher Anordnung müssen u.a. auch |
233 | Vorkehrungen getroffen werden, die den Kernbereich privater |
234 | Lebensgestaltung schützen. |
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2.1.5 Einschränkungen von Grundrechten / Kollidierende Rechtsgüter (Originalversion)
von EnqueteBuero, angelegt -
2.1.5 Einschränkungen von Grundrechten / Kollidierende Rechtsgüter (Originalversion)
von EnqueteBuero, angelegt1 Gerade im Bereich des Internet sind zum Teil schwierige 2 Grundrechtskollisionen vorgezeichnet, wie z.B. die sog. 3 Spickmich-Entscheidung des BGH zeigt. Pauschale 4 Gegenüberstellungen etwa mit dem Eigentumsgrundrecht oder 5 der Berufausübungsfreiheit aber verbieten sich, da oft 6 genug gefragt werden muss, ob bestimmte 7 Grundrechtsausübungen zugleich den Schutz des Umgangs mit 8 den Daten von dritten Grundrechtsträgern umfassen. Hier ist 9 eine besonders differenzierte Darstellung zu empfehlen. 10 11 Jedermann hat das Recht, über die Preisgabe und Verwendung 12 seiner persönlichen Daten grundsätzlich selbst zu 13 bestimmen. Einschränkungen dieses Rechts auf 14 informationelle Selbstbestimmung sind nur im überwiegenden 15 Allgemeininteresse zulässig. Dieses „Recht auf 16 informationelle Selbstbestimmung“, wie es das 17 Bundesverfassungsgericht 1983 in seiner Entscheidung zur 18 Volkszählung, also im Hinblick auf eine staatliche 19 Maßnahme, beschrieben hat, ist einerseits - als Ausprägung 20 des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 i. 21 V. m. Art. 1 Abs. 1 GG – ein individuelles Abwehrrecht 22 gegenüber staatlichen Eingriffen. 23 24 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wirkt 25 sich das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aber 26 darüberhinaus im Sinne einer Drittwirkung auch auf die 27 Auslegung und Anwendung privatrechtlicher Vorschriften aus 28 und begründet staatliche Schutzpflichten. Die staatliche 29 Gewalt ist danach verpflichtet, dem Einzelnen seine 30 informationelle Selbstbestimmung im Verhältnis zu Dritten 31 zu ermöglichen. [Fußnote: BVerG, Beschluss vom 23.10.2006 – 32 BvR 2027//02, Rn 30.]Gegebenenfalls müssen staatlicherseits 33 die rechtlichen Bedingungen geschaffen und erhalten werden, 34 unter denen der Einzelne selbstbestimmt an 35 Kommunikationsprozessen teilnehmen kann. [Fußnote: BVerG, 36 Beschluss vom 23.10.2006 – BvR 2027//02, Rn. 33.] 37 38 Nicht jede Beeinträchtigung eines grundrechtlichen 39 Schutzbereichs führt per se zur Verfassungswidrigkeit der 40 Maßnahme. Zum einen kann der Betroffene in die Maßnahme 41 einwilligen und seine Daten freiwillig preisgeben, was vom 42 Staat zu respektieren ist. [Fußnote: Vgl. BVerfG-K, 1 BvR 43 2027/02 vom 23.10.2006, Absatz-Nr. 34, 44 http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk20061023_1bvr202702.ht 45 ml; Schoch, JURA 2008. 352, 357.] Aber auch ohne 46 Einwilligung wird der verfassungsrechtliche Datenschutz 47 nicht grenzenlos gewährleistet, sondern kann beschränkt 48 werden. Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu bereits 49 1983 im sogenannten Volkszählungsurteil dargelegt: "Das 50 Grundrecht gewährleistet insoweit die Befugnis des 51 Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und 52 Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen. 53 Einschränkungen dieses Rechts auf "informationelle 54 Selbstbestimmung" sind nur im überwiegenden 55 Allgemeininteresse zulässig." 56 57 Für diese Schrankenziehung hat das BVerfG seit dem 58 Volkszählungsurteil eine Reihe von Vorgaben aufgestellt, 59 die es zu beachten gilt. Dabei gelten für die genannten 60 Grundrechte weitgehend die gleichen Maßstäbe. [Fußnote: 61 Vgl. BVerfGE 115, 320, 347; Gurlit, NJW 2010, 1035, 1037 f.] 62 63 Grundlegende Voraussetzung für einen zulässigen Eingriff in 64 das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist das 65 Vorhandensein einer gesetzlichen Grundlage, welche die 66 Voraussetzungen und den Umfang der Beschränkungen klar 67 erkennen lässt. [Fußnote: BVerfGE 65, 1, 44.] Das 68 Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage 69 (Gesetzesvorbehalt) folgt bereits aus Art. 2 Abs. 1 GG, 70 wonach das allgemeine Persönlichkeitsrecht nur innerhalb 71 der verfassungsmäßigen Ordnung gewährleistet wird. Die 72 gesetzliche Grundlage muss dem Gebot der Normenklarheit 73 entsprechen, was bedeutet, dass Anlass, Zweck und Grenzen 74 eines Eingriffs in der Ermächtigung bereichsspezifisch, 75 präzise und für den Bürger klar erkennbar festgelegt werden 76 müssen. [Fußnote: Kühling/Seidel/Sivridis, 77 Datenschutzrecht, S. 79 m.w.N. aus der Rspr. des BVerfG.] 78 79 Weiterhin muss der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachtet 80 werden. Das bedeutet, dass die Maßnahme einen legitimen 81 Zweck verfolgen, zu dessen Erreichung geeignet, 82 erforderlich und verhältnismäßig sein muss. [Fußnote: 83 BVerfGE 115, 320, 345 ff.] Der Zweck muss von vornherein 84 bestimmt sein. Die ständige Rechtsprechung des BVerfG 85 bringt deutlich zum Ausdruck, „dass dem Staat eine Sammlung 86 von personenbezogenen Daten auf Vorrat zu unbestimmten oder 87 noch nicht bestimmbaren Zwecken verfassungsrechtlich strikt 88 untersagt ist.“ [Fußnote: BVerfG NJW 2010, 833, 839 Rn. 89 213.] 90 Es besteht demnach ein "Schutz des Einzelnen gegen 91 unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und 92 Weitergabe seiner persönlichen Daten". Das Grundrecht auf 93 informationelle Selbstbestimmung wird als besondere 94 Ausprägung des schon zuvor grundrechtlich geschützten 95 allgemeinen Persönlichkeitsrechts angesehen. Wie dieses 96 wird es verfassungsrechtlich aus Art. 2 Abs. 1 (sog. 97 allgemeine Handlungsfreiheit) in Verbindung mit Art. 1 98 Abs. 1 GG (Menschenwürde-Garantie) hergeleitet. 99 100 In der Verhältnismäßigkeitsprüfung findet eine 101 Güterabwägung zwischen dem verfolgten Zweck und dem Recht 102 auf informationelle Selbstbestimmung statt. Dabei ist von 103 der Prämisse auszugehen, dass Grundrechte „jeweils nur 104 soweit beschränkt werden dürfen, als es zum Schutze 105 öffentlicher Interessen unerlässlich ist.“ [Fußnote: 106 BVerfGE 65, 1, 44.] In der Abwägung ist vor allem das 107 Gewicht der Grundrechtsbeeinträchtigung zu beachten. Bei 108 der Beurteilung der Schwere des Eingriffs sind z.B. die 109 folgenden Kriterien zu berücksichtigen: 110 111 • in welche Sphäre die Maßnahme eingreift (Sozial-, Privat- 112 oder Intimsphäre). [Fußnote: In die Intimsphäre darf gar 113 nicht eingegriffen werden, in die Privat- oder 114 Geheimnissphäre nur unter besonders strenger Wahrung des 115 Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und in die Sozialsphäre 116 bereits nach den Kriterien, die für einen Eingriff in die 117 allgemeine Handlungsfreiheit gelten. Vgl. Murswiek, in: 118 Sachs, GG, Art. 2 Rn. 104 m.w.N.] Die unterschiedliche 119 Schutzintensität der drei Sphären kann aber nicht im Sinne 120 eines starren Schemas verstanden werden, sondern nur als 121 erster Orientierungspunkt für die Intensität der 122 Grundrechtsbeeinträchtigung und für die Gewichtung der 123 diese Beeinträchtigung rechtfertigenden Gründe. 124 125 • wie viele Grundrechtsträger betroffen sind; [Fußnote: 126 BVerfGE 115, 320, 347.] 127 128 • wie intensiv die Beeinträchtigungen sind; [Fußnote: 129 BVerfGE 115, 320, 347.] 130 131 • welche Inhalte von dem Eingriff erfasst werden, 132 insbesondere welchen Grad an Persönlichkeitsrelevanz die 133 betroffenen Informationen je für sich und in ihrer 134 Verknüpfung mit anderen aufweisen; [Fußnote: BVerfGE 115, 135 320, 348.] 136 137 • ob besondere Vertraulichkeitserwartungen verletzt werden; 138 [Fußnote: BVerfGE 115, 320, 348.] 139 140 • auf welchem Weg die Inhalte erlangt werden; [Fußnote: 141 BVerfGE 115, 320, 348.] 142 143 • welche weiteren Folgen oder Nachteile die Datenerhebung 144 nach sich ziehen kann, z.B. 145 146 - das Risiko, Gegenstand staatlicher Ermittlungsmaßnahmen 147 zu werden, das über das allgemeine Risiko hinausgeht, einem 148 unberechtigten Verdacht-ausgesetzt zu werden, 149 150 - eine stigmatisierende Wirkung; [Fußnote: BVerfGE 115, 151 320, 351 ff.] 152 153 • die Heimlichkeit einer staatlichen Maßnahme, welche z.B. 154 die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Rechtsschutz im 155 Vergleich zur offenen Datenerhebung wesentlich erschwert; 156 [Fußnote: Vgl. z.B. BVerfGE 120, 274, 325; 124, 43, 62 f. 157 und 65 f.] 158 159 • der Verdachtsgrad; 160 161 • über welchen Zeitraum die Daten erhoben, verarbeitet und 162 genutzt werden können; 163 164 • und die Streubreite einer Maßnahme. 165 166 Zum zuletzt genannten Punkt hat das BVerfG ausgeführt: 167 „Grundrechtseingriffe, die sowohl durch Verdachtslosigkeit 168 als auch durch eine große Streubreite gekennzeichnet sind – 169 bei denen also zahlreiche Personen in den Wirkungsbereich 170 einer Maßnahme einbezogen werden, die in keiner Beziehung 171 zu einem konkreten Fehlverhalten stehen und den Eingriff 172 durch ihr Verhalten nicht veranlasst haben – weisen 173 grundsätzlich eine hohe Eingriffsintensität auf.... Denn 174 der Einzelne ist in seiner grundrechtlichen Freiheit umso 175 intensiver betroffen, je weniger er selbst für einen 176 staatlichen Eingriff Anlass gegeben hat. Von solchen 177 Eingriffen können ferner Einschüchterungseffekte ausgehen, 178 die zu Beeinträchtigungen bei der Ausübung von Grundrechten 179 führen können. ... Es gefährdet die Unbefangenheit des 180 Verhaltens, wenn die Streubreite von Ermittlungsmaßnahmen 181 dazu beiträgt, dass Risiken des Missbrauchs und ein Gefühl 182 des Überwachtwerdens entstehen ... .“ [Fußnote: BVerfGE 183 115, 320, 354 f.] 184 185 Das Bundesverfassungsgericht hat eine anlasslose 186 Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten zwar nicht 187 schlechthin als verfassungswidrig angesehen, aber betont, 188 dass es sich um einen besonders schweren Eingriff handele, 189 der höchsten verfassungsrechtlichen Anforderungen bei der 190 Ausgestaltung der Regelungen unterliegt. 191 192 Je schwerer die Grundrechtsbeeinträchtigung wiegt, desto 193 höher muss das staatliche Schutzgut wiegen, um den Eingriff 194 rechtfertigen zu können. In die Waagschale gelegt werden 195 können hier z.B.: 196 197 • die Sicherheit des Staates als verfasste Friedens- und 198 Ordnungsmacht und die von ihm zu gewährleistende Sicherheit 199 der Bevölkerung vor Gefahren für Leib, Leben und Freiheit;[ 200 Fußnote: BVerfGE 120, 274, 319 und 328.] 201 202 • die Abwehr von Beeinträchtigungen der Grundlagen einer 203 freiheitlichen demokratischen Grundordnung; [Fußnote: 204 BVerfGE 115, 320, 358.] 205 206 • die Sicherung der Funktionsfähigkeit wesentlicher Teile 207 existenzsichernder öffentlicher Versorgungseinrichtungen; 208 [Fußnote: BVerfGE 120, 274, 328.] 209 210 • die Verhütung und Verfolgung von Straftaten von 211 erheblicher Bedeutung [Fußnote: BVerfGE 113, 348, 385.]bzw. 212 schwerwiegender Straftaten. [Fußnote: BVerfG NJW 2010, 833, 213 848 Rn. 279.] 214 215 Eine absolute Grenze der Zulässigkeit einer Datenerhebung 216 bildet die Schranken-Schranke des unantastbaren 217 Kernbereichs privater Lebensgestaltung, insbesondere im 218 Bereich der Intimsphäre. Staatliche Stellen „haben einen 219 unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung zu 220 wahren, dessen Schutz sich aus Art. 1 Abs. 1 GG ergibt. 221 ... Selbst überwiegende Interessen der Allgemeinheit können 222 einen Eingriff in ihn nicht rechtfertigen ... Zur 223 Entfaltung der Persönlichkeit im Kernbereich privater 224 Lebensgestaltung gehört die Möglichkeit, innere Vorgänge 225 wie Empfindungen und Gefühle sowie Überlegungen, Ansichten 226 und Erlebnisse höchstpersönlicher Art ohne die Angst zum 227 Ausdruck zu bringen, dass staatliche Stellen dies 228 überwachen.“ [Fußnote: BVerfGE 120, 274, 335.] Deshalb hat 229 das BVerfG als Voraussetzung für einen Zugriff auf einen 230 Bereich, in dem solche Kernbereichsdaten (z.B. 231 tagebuchartige Aufzeichnungen, private Film- oder 232 Tondokumente, höchstpersönliche Telefonate oder Emails) zu 233 vermuten sind, das Erfordernis besonderer gesetzlicher 234 Vorkehrungen aufgestellt, um den Kernbereich der privaten 235 Lebensgestaltung zu schützen. [Fußnote: BVerfGE 120, 274, 236 336 ff.]So lässt sich die (beiläufige) Erfassung solcher 237 Daten nicht immer verhindern. Jedoch sind entsprechende 238 Maßnahmen abzubrechen, sobald erkannt wird, dass sie in den 239 Kernbereich vordringen oder zumindest im Nachhinein 240 umgehend zu löschen. [Fußnote: BVerfGE 120, 274, 337.] 241 242 Aber auch unabhängig von diesem Kernbereich hat der 243 Gesetzgeber „organisatorische und verfahrensrechtliche 244 Vorkehrungen zu treffen, welche der Gefahr einer Verletzung 245 des Persönlichkeitsrechts entgegenwirken.“ [Fußnote: 246 BVerfGE 65, 1, 44.] Dazu gehört auch die Sicherheit der 247 Daten. So hat das BVerfG in seiner Entscheidung zur 248 Vorratsdatenspeicherung vor allem die „gesetzliche 249 Gewährleistung eines besonders hohen Standards der 250 Datensicherheit“ eingefordert. [Fußnote: BVerfG NJW 2010, 251 833, 840 Rn. 221.] 252 253 Im Falle des heimlichen Zugriffes auf die 254 Datenverarbeitungsanlagen von Privatpersonen durch 255 Sicherheitsbehörden (sog. Online-Durchsuchung) bestehen 256 besonders hohe Hürden für den Gesetzgeber, die sich 257 vorrangig aus dem neugeschaffenen Grundrecht auf 258 Vertraulichkeit und der Integrität informationstechnischer 259 Systeme ableiten. Sie sind nur zulässig, wenn Gefahren für 260 überragend wichtige Rechtsgüter bestehen, die sich in 261 Gestalt von tatsächlichen Anhaltspunkten einer konkreten 262 Gefahr manifestieren. Neben dem grundsätzlich geltenden 263 Vorbehalt richterlicher Anordnung müssen u.a. auch 264 Vorkehrungen getroffen werden, die den Kernbereich privater 265 Lebensgestaltung schützen. -
2.1.5 Einschränkungen von Grundrechten / Kollidierende Rechtsgüter (Originalversion)
von EnqueteBuero, angelegt1 Gerade im Bereich des Internet sind zum Teil schwierige 2 Grundrechtskollisionen vorgezeichnet, wie z.B. die sog. 3 Spickmich-Entscheidung des BGH zeigt. Pauschale 4 Gegenüberstellungen etwa mit dem Eigentumsgrundrecht oder 5 der Berufausübungsfreiheit aber verbieten sich, da oft 6 genug gefragt werden muss, ob bestimmte 7 Grundrechtsausübungen zugleich den Schutz des Umgangs mit 8 den Daten von dritten Grundrechtsträgern umfassen. Hier ist 9 eine besonders differenzierte Darstellung zu empfehlen. 10 11 Jedermann hat das Recht, über die Preisgabe und Verwendung 12 seiner persönlichen Daten grundsätzlich selbst zu 13 bestimmen. Einschränkungen dieses Rechts auf 14 informationelle Selbstbestimmung sind nur im überwiegenden 15 Allgemeininteresse zulässig. Dieses „Recht auf 16 informationelle Selbstbestimmung“, wie es das 17 Bundesverfassungsgericht 1983 in seiner Entscheidung zur 18 Volkszählung, also im Hinblick auf eine staatliche 19 Maßnahme, beschrieben hat, ist einerseits - als Ausprägung 20 des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 i. 21 V. m. Art. 1 Abs. 1 GG – ein individuelles Abwehrrecht 22 gegenüber staatlichen Eingriffen. 23 24 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wirkt 25 sich das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aber 26 darüberhinaus im Sinne einer Drittwirkung auch auf die 27 Auslegung und Anwendung privatrechtlicher Vorschriften aus 28 und begründet staatliche Schutzpflichten. Die staatliche 29 Gewalt ist danach verpflichtet, dem Einzelnen seine 30 informationelle Selbstbestimmung im Verhältnis zu Dritten 31 zu ermöglichen. [Fußnote: BVerG, Beschluss vom 23.10.2006 – 32 BvR 2027//02, Rn 30.]Gegebenenfalls müssen staatlicherseits 33 die rechtlichen Bedingungen geschaffen und erhalten werden, 34 unter denen der Einzelne selbstbestimmt an 35 Kommunikationsprozessen teilnehmen kann. [Fußnote: BVerG, 36 Beschluss vom 23.10.2006 – BvR 2027//02, Rn. 33.] 37 38 Nicht jede Beeinträchtigung eines grundrechtlichen 39 Schutzbereichs führt per se zur Verfassungswidrigkeit der 40 Maßnahme. Zum einen kann der Betroffene in die Maßnahme 41 einwilligen und seine Daten freiwillig preisgeben, was vom 42 Staat zu respektieren ist. [Fußnote: Vgl. BVerfG-K, 1 BvR 43 2027/02 vom 23.10.2006, Absatz-Nr. 34, 44 http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk20061023_1bvr202702.ht 45 ml; Schoch, JURA 2008. 352, 357.] Aber auch ohne 46 Einwilligung wird der verfassungsrechtliche Datenschutz 47 nicht grenzenlos gewährleistet, sondern kann beschränkt 48 werden. Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu bereits 49 1983 im sogenannten Volkszählungsurteil dargelegt: "Das 50 Grundrecht gewährleistet insoweit die Befugnis des 51 Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und 52 Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen. 53 Einschränkungen dieses Rechts auf "informationelle 54 Selbstbestimmung" sind nur im überwiegenden 55 Allgemeininteresse zulässig." 56 57 Für diese Schrankenziehung hat das BVerfG seit dem 58 Volkszählungsurteil eine Reihe von Vorgaben aufgestellt, 59 die es zu beachten gilt. Dabei gelten für die genannten 60 Grundrechte weitgehend die gleichen Maßstäbe. [Fußnote: 61 Vgl. BVerfGE 115, 320, 347; Gurlit, NJW 2010, 1035, 1037 f.] 62 63 Grundlegende Voraussetzung für einen zulässigen Eingriff in 64 das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist das 65 Vorhandensein einer gesetzlichen Grundlage, welche die 66 Voraussetzungen und den Umfang der Beschränkungen klar 67 erkennen lässt. [Fußnote: BVerfGE 65, 1, 44.] Das 68 Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage 69 (Gesetzesvorbehalt) folgt bereits aus Art. 2 Abs. 1 GG, 70 wonach das allgemeine Persönlichkeitsrecht nur innerhalb 71 der verfassungsmäßigen Ordnung gewährleistet wird. Die 72 gesetzliche Grundlage muss dem Gebot der Normenklarheit 73 entsprechen, was bedeutet, dass Anlass, Zweck und Grenzen 74 eines Eingriffs in der Ermächtigung bereichsspezifisch, 75 präzise und für den Bürger klar erkennbar festgelegt werden 76 müssen. [Fußnote: Kühling/Seidel/Sivridis, 77 Datenschutzrecht, S. 79 m.w.N. aus der Rspr. des BVerfG.] 78 79 Weiterhin muss der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachtet 80 werden. Das bedeutet, dass die Maßnahme einen legitimen 81 Zweck verfolgen, zu dessen Erreichung geeignet, 82 erforderlich und verhältnismäßig sein muss. [Fußnote: 83 BVerfGE 115, 320, 345 ff.] Der Zweck muss von vornherein 84 bestimmt sein. Die ständige Rechtsprechung des BVerfG 85 bringt deutlich zum Ausdruck, „dass dem Staat eine Sammlung 86 von personenbezogenen Daten auf Vorrat zu unbestimmten oder 87 noch nicht bestimmbaren Zwecken verfassungsrechtlich strikt 88 untersagt ist.“ [Fußnote: BVerfG NJW 2010, 833, 839 Rn. 89 213.] 90 Es besteht demnach ein "Schutz des Einzelnen gegen 91 unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und 92 Weitergabe seiner persönlichen Daten". Das Grundrecht auf 93 informationelle Selbstbestimmung wird als besondere 94 Ausprägung des schon zuvor grundrechtlich geschützten 95 allgemeinen Persönlichkeitsrechts angesehen. Wie dieses 96 wird es verfassungsrechtlich aus Art. 2 Abs. 1 (sog. 97 allgemeine Handlungsfreiheit) in Verbindung mit Art. 1 98 Abs. 1 GG (Menschenwürde-Garantie) hergeleitet. 99 100 In der Verhältnismäßigkeitsprüfung findet eine 101 Güterabwägung zwischen dem verfolgten Zweck und dem Recht 102 auf informationelle Selbstbestimmung statt. Dabei ist von 103 der Prämisse auszugehen, dass Grundrechte „jeweils nur 104 soweit beschränkt werden dürfen, als es zum Schutze 105 öffentlicher Interessen unerlässlich ist.“ [Fußnote: 106 BVerfGE 65, 1, 44.] In der Abwägung ist vor allem das 107 Gewicht der Grundrechtsbeeinträchtigung zu beachten. Bei 108 der Beurteilung der Schwere des Eingriffs sind z.B. die 109 folgenden Kriterien zu berücksichtigen: 110 111 • in welche Sphäre die Maßnahme eingreift (Sozial-, Privat- 112 oder Intimsphäre). [Fußnote: In die Intimsphäre darf gar 113 nicht eingegriffen werden, in die Privat- oder 114 Geheimnissphäre nur unter besonders strenger Wahrung des 115 Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und in die Sozialsphäre 116 bereits nach den Kriterien, die für einen Eingriff in die 117 allgemeine Handlungsfreiheit gelten. Vgl. Murswiek, in: 118 Sachs, GG, Art. 2 Rn. 104 m.w.N.] Die unterschiedliche 119 Schutzintensität der drei Sphären kann aber nicht im Sinne 120 eines starren Schemas verstanden werden, sondern nur als 121 erster Orientierungspunkt für die Intensität der 122 Grundrechtsbeeinträchtigung und für die Gewichtung der 123 diese Beeinträchtigung rechtfertigenden Gründe. 124 125 • wie viele Grundrechtsträger betroffen sind; [Fußnote: 126 BVerfGE 115, 320, 347.] 127 128 • wie intensiv die Beeinträchtigungen sind; [Fußnote: 129 BVerfGE 115, 320, 347.] 130 131 • welche Inhalte von dem Eingriff erfasst werden, 132 insbesondere welchen Grad an Persönlichkeitsrelevanz die 133 betroffenen Informationen je für sich und in ihrer 134 Verknüpfung mit anderen aufweisen; [Fußnote: BVerfGE 115, 135 320, 348.] 136 137 • ob besondere Vertraulichkeitserwartungen verletzt werden; 138 [Fußnote: BVerfGE 115, 320, 348.] 139 140 • auf welchem Weg die Inhalte erlangt werden; [Fußnote: 141 BVerfGE 115, 320, 348.] 142 143 • welche weiteren Folgen oder Nachteile die Datenerhebung 144 nach sich ziehen kann, z.B. 145 146 - das Risiko, Gegenstand staatlicher Ermittlungsmaßnahmen 147 zu werden, das über das allgemeine Risiko hinausgeht, einem 148 unberechtigten Verdacht-ausgesetzt zu werden, 149 150 - eine stigmatisierende Wirkung; [Fußnote: BVerfGE 115, 151 320, 351 ff.] 152 153 • die Heimlichkeit einer staatlichen Maßnahme, welche z.B. 154 die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Rechtsschutz im 155 Vergleich zur offenen Datenerhebung wesentlich erschwert; 156 [Fußnote: Vgl. z.B. BVerfGE 120, 274, 325; 124, 43, 62 f. 157 und 65 f.] 158 159 • der Verdachtsgrad; 160 161 • über welchen Zeitraum die Daten erhoben, verarbeitet und 162 genutzt werden können; 163 164 • und die Streubreite einer Maßnahme. 165 166 Zum zuletzt genannten Punkt hat das BVerfG ausgeführt: 167 „Grundrechtseingriffe, die sowohl durch Verdachtslosigkeit 168 als auch durch eine große Streubreite gekennzeichnet sind – 169 bei denen also zahlreiche Personen in den Wirkungsbereich 170 einer Maßnahme einbezogen werden, die in keiner Beziehung 171 zu einem konkreten Fehlverhalten stehen und den Eingriff 172 durch ihr Verhalten nicht veranlasst haben – weisen 173 grundsätzlich eine hohe Eingriffsintensität auf.... Denn 174 der Einzelne ist in seiner grundrechtlichen Freiheit umso 175 intensiver betroffen, je weniger er selbst für einen 176 staatlichen Eingriff Anlass gegeben hat. Von solchen 177 Eingriffen können ferner Einschüchterungseffekte ausgehen, 178 die zu Beeinträchtigungen bei der Ausübung von Grundrechten 179 führen können. ... Es gefährdet die Unbefangenheit des 180 Verhaltens, wenn die Streubreite von Ermittlungsmaßnahmen 181 dazu beiträgt, dass Risiken des Missbrauchs und ein Gefühl 182 des Überwachtwerdens entstehen ... .“ [Fußnote: BVerfGE 183 115, 320, 354 f.] 184 185 Das Bundesverfassungsgericht hat eine anlasslose 186 Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten zwar nicht 187 schlechthin als verfassungswidrig angesehen, aber betont, 188 dass es sich um einen besonders schweren Eingriff handele, 189 der höchsten verfassungsrechtlichen Anforderungen bei der 190 Ausgestaltung der Regelungen unterliegt. 191 192 Je schwerer die Grundrechtsbeeinträchtigung wiegt, desto 193 höher muss das staatliche Schutzgut wiegen, um den Eingriff 194 rechtfertigen zu können. In die Waagschale gelegt werden 195 können hier z.B.: 196 197 • die Sicherheit des Staates als verfasste Friedens- und 198 Ordnungsmacht und die von ihm zu gewährleistende Sicherheit 199 der Bevölkerung vor Gefahren für Leib, Leben und Freiheit;[ 200 Fußnote: BVerfGE 120, 274, 319 und 328.] 201 202 • die Abwehr von Beeinträchtigungen der Grundlagen einer 203 freiheitlichen demokratischen Grundordnung; [Fußnote: 204 BVerfGE 115, 320, 358.] 205 206 • die Sicherung der Funktionsfähigkeit wesentlicher Teile 207 existenzsichernder öffentlicher Versorgungseinrichtungen; 208 [Fußnote: BVerfGE 120, 274, 328.] 209 210 • die Verhütung und Verfolgung von Straftaten von 211 erheblicher Bedeutung [Fußnote: BVerfGE 113, 348, 385.]bzw. 212 schwerwiegender Straftaten. [Fußnote: BVerfG NJW 2010, 833, 213 848 Rn. 279.] 214 215 Eine absolute Grenze der Zulässigkeit einer Datenerhebung 216 bildet die Schranken-Schranke des unantastbaren 217 Kernbereichs privater Lebensgestaltung, insbesondere im 218 Bereich der Intimsphäre. Staatliche Stellen „haben einen 219 unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung zu 220 wahren, dessen Schutz sich aus Art. 1 Abs. 1 GG ergibt. 221 ... Selbst überwiegende Interessen der Allgemeinheit können 222 einen Eingriff in ihn nicht rechtfertigen ... Zur 223 Entfaltung der Persönlichkeit im Kernbereich privater 224 Lebensgestaltung gehört die Möglichkeit, innere Vorgänge 225 wie Empfindungen und Gefühle sowie Überlegungen, Ansichten 226 und Erlebnisse höchstpersönlicher Art ohne die Angst zum 227 Ausdruck zu bringen, dass staatliche Stellen dies 228 überwachen.“ [Fußnote: BVerfGE 120, 274, 335.] Deshalb hat 229 das BVerfG als Voraussetzung für einen Zugriff auf einen 230 Bereich, in dem solche Kernbereichsdaten (z.B. 231 tagebuchartige Aufzeichnungen, private Film- oder 232 Tondokumente, höchstpersönliche Telefonate oder Emails) zu 233 vermuten sind, das Erfordernis besonderer gesetzlicher 234 Vorkehrungen aufgestellt, um den Kernbereich der privaten 235 Lebensgestaltung zu schützen. [Fußnote: BVerfGE 120, 274, 236 336 ff.]So lässt sich die (beiläufige) Erfassung solcher 237 Daten nicht immer verhindern. Jedoch sind entsprechende 238 Maßnahmen abzubrechen, sobald erkannt wird, dass sie in den 239 Kernbereich vordringen oder zumindest im Nachhinein 240 umgehend zu löschen. [Fußnote: BVerfGE 120, 274, 337.] 241 242 Aber auch unabhängig von diesem Kernbereich hat der 243 Gesetzgeber „organisatorische und verfahrensrechtliche 244 Vorkehrungen zu treffen, welche der Gefahr einer Verletzung 245 des Persönlichkeitsrechts entgegenwirken.“ [Fußnote: 246 BVerfGE 65, 1, 44.] Dazu gehört auch die Sicherheit der 247 Daten. So hat das BVerfG in seiner Entscheidung zur 248 Vorratsdatenspeicherung vor allem die „gesetzliche 249 Gewährleistung eines besonders hohen Standards der 250 Datensicherheit“ eingefordert. [Fußnote: BVerfG NJW 2010, 251 833, 840 Rn. 221.] 252 253 Im Falle des heimlichen Zugriffes auf die 254 Datenverarbeitungsanlagen von Privatpersonen durch 255 Sicherheitsbehörden (sog. Online-Durchsuchung) bestehen 256 besonders hohe Hürden für den Gesetzgeber, die sich 257 vorrangig aus dem neugeschaffenen Grundrecht auf 258 Vertraulichkeit und der Integrität informationstechnischer 259 Systeme ableiten. Sie sind nur zulässig, wenn Gefahren für 260 überragend wichtige Rechtsgüter bestehen, die sich in 261 Gestalt von tatsächlichen Anhaltspunkten einer konkreten 262 Gefahr manifestieren. Neben dem grundsätzlich geltenden 263 Vorbehalt richterlicher Anordnung müssen u.a. auch 264 Vorkehrungen getroffen werden, die den Kernbereich privater 265 Lebensgestaltung schützen.