2.1.5 Einschränkungen von Grundrechten / Kollidierende Rechtsgüter

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  • 2.1.5 Einschränkungen von Grundrechten / Kollidierende Rechtsgüter (Originalversion)

    von EnqueteBuero, angelegt
    1 Gerade im Bereich des Internet sind zum Teil schwierige
    2 Grundrechtskollisionen vorgezeichnet, wie z.B. die sog.
    3 Spickmich-Entscheidung des BGH zeigt. Pauschale
    4 Gegenüberstellungen etwa mit dem Eigentumsgrundrecht oder
    5 der Berufausübungsfreiheit aber verbieten sich, da oft genug
    6 gefragt werden muss, ob bestimmte Grundrechtsausübungen
    7 zugleich den Schutz des Umgangs mit den Daten von dritten
    8 Grundrechtsträgern umfassen. Hier ist eine besonders
    9 differenzierte Darstellung zu empfehlen.
    10 Jedermann hat das Recht, über die Preisgabe und Verwendung
    11 seiner persönlichen Daten grundsätzlich selbst zu bestimmen.
    12 Einschränkungen dieses Rechts auf informationelle
    13 Selbstbestimmung sind nur im überwiegenden
    14 Allgemeininteresse zulässig. Dieses „Recht auf
    15 informationelle Selbstbestimmung“, wie es das
    16 Bundesverfassungsgericht 1983 in seiner Entscheidung zur
    17 Volkszählung, also im Hinblick auf eine staatliche Maßnahme,
    18 beschrieben hat, ist einerseits - als Ausprägung des
    19 allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m.
    20 Art. 1 Abs. 1 GG – ein individuelles Abwehrrecht gegenüber
    21 staatlichen Eingriffen.
    22 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wirkt
    23 sich das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aber
    24 darüberhinaus im Sinne einer Drittwirkung auch auf die
    25 Auslegung und Anwendung privatrechtlicher Vorschriften aus
    26 und begründet staatliche Schutzpflichten. Die staatliche
    27 Gewalt ist danach verpflichtet, dem Einzelnen seine
    28 informationelle Selbstbestimmung im Verhältnis zu Dritten zu
    29 ermöglichen. [Fußnote: BVerG, Beschluss vom 23.10.2006 – BvR
    30 2027//02, Rn 30.]Gegebenenfalls müssen staatlicherseits die
    31 rechtlichen Bedingungen geschaffen und erhalten werden,
    32 unter denen der Einzelne selbstbestimmt an
    33 Kommunikationsprozessen teilnehmen kann. [Fußnote: BVerG,
    34 Beschluss vom 23.10.2006 – BvR 2027//02, Rn. 33.]
    35 Nicht jede Beeinträchtigung eines grundrechtlichen
    36 Schutzbereichs führt per se zur Verfassungswidrigkeit der
    37 Maßnahme. Zum einen kann der Betroffene in die Maßnahme
    38 einwilligen und seine Daten freiwillig preisgeben, was vom
    39 Staat zu respektieren ist. [Fußnote: Vgl. BVerfG-K, 1 BvR
    40 2027/02 vom 23.10.2006, Absatz-Nr. 34,
    41 http://www.bverfg.de/entscheidun-gen/rk20061023_1bvr202702.h
    42 tml; Schoch, JURA 2008. 352, 357.] Aber auch ohne
    43 Einwilligung wird der verfassungsrechtliche Datenschutz
    44 nicht grenzenlos gewährleistet, sondern kann beschränkt
    45 werden. Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu bereits 1983
    46 im sogenannten Volkszählungsurteil dargelegt: "Das
    47 Grundrecht gewährleistet insoweit die Befugnis des
    48 Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und
    49 Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen.
    50 Einschränkungen dieses Rechts auf "informationelle
    51 Selbstbestimmung" sind nur im überwiegenden
    52 Allgemeininteresse zulässig."
    53 Für diese Schrankenziehung hat das BVerfG seit dem
    54 Volkszählungsurteil eine Reihe von Vorgaben aufgestellt, die
    55 es zu beachten gilt. Dabei gelten für die genannten
    56 Grundrechte weitgehend die gleichen Maßstäbe. [Fußnote: Vgl.
    57 BVerfGE 115, 320, 347; Gurlit, NJW 2010, 1035, 1037 f.]
    58 Grundlegende Voraussetzung für einen zulässigen Eingriff in
    59 das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist das
    60 Vorhandensein einer gesetzlichen Grundlage, welche die
    61 Voraussetzungen und den Umfang der Beschränkungen klar
    62 erkennen lässt. [Fußnote: BVerfGE 65, 1, 44.] Das
    63 Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage (Gesetzesvorbehalt)
    64 folgt bereits aus Art. 2 Abs. 1 GG, wonach das allgemeine
    65 Persönlichkeitsrecht nur innerhalb der verfassungsmäßigen
    66 Ordnung gewährleistet wird. Die gesetzliche Grundlage muss
    67 dem Gebot der Normenklarheit entsprechen, was bedeutet, dass
    68 Anlass, Zweck und Grenzen eines Eingriffs in der
    69 Ermächtigung bereichsspezifisch, präzise und für den Bürger
    70 klar erkennbar festgelegt werden müssen. [Fußnote:
    71 Kühling/Seidel/Sivridis, Datenschutzrecht, S. 79 m.w.N. aus
    72 der Rspr. des BVerfG.]
    73 Weiterhin muss der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachtet
    74 werden. Das bedeutet, dass die Maßnahme einen legitimen
    75 Zweck verfolgen, zu dessen Erreichung geeignet, erforderlich
    76 und verhältnismäßig sein muss. [Fußnote: BVerfGE 115, 320,
    77 345 ff.] Der Zweck muss von vornherein bestimmt sein. Die
    78 ständige Rechtsprechung des BVerfG bringt deutlich zum
    79 Ausdruck, „dass dem Staat eine Sammlung von
    80 personenbezogenen Daten auf Vorrat zu unbestimmten oder noch
    81 nicht bestimmbaren Zwecken verfassungsrechtlich strikt
    82 untersagt ist.“ [Fußnote: BVerfG NJW 2010, 833, 839 Rn.
    83 213.]
    84 Es besteht demnach ein "Schutz des Einzelnen gegen
    85 unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und
    86 Weitergabe seiner persönlichen Daten". Das Grundrecht auf
    87 informationelle Selbstbestimmung wird als besondere
    88 Ausprägung des schon zuvor grundrechtlich geschützten
    89 allgemeinen Persönlichkeitsrechts angesehen. Wie dieses
    90 wird es verfassungsrechtlich aus Art. 2 Abs. 1 (sog.
    91 allgemeine Handlungsfreiheit) in Verbindung mit Art. 1 Abs.
    92 1 GG (Menschenwürde-Garantie) hergeleitet.
    93 In der Verhältnismäßigkeitsprüfung findet eine Güterabwägung
    94 zwischen dem verfolgten Zweck und dem Recht auf
    95 informationelle Selbstbestimmung statt. Dabei ist von der
    96 Prämisse auszugehen, dass Grundrechte „jeweils nur soweit
    97 beschränkt werden dürfen, als es zum Schutze öffentlicher
    98 Interessen unerlässlich ist.“ [Fußnote: BVerfGE 65, 1, 44.]
    99 In der Abwägung ist vor allem das Gewicht der
    100 Grundrechtsbeeinträchtigung zu beachten. Bei der Beurteilung
    101 der Schwere des Eingriffs sind z.B. die folgenden Kriterien
    102 zu berücksichtigen:
    103 • in welche Sphäre die Maßnahme eingreift (Sozial-, Privat-
    104 oder Intimsphäre). [Fußnote: In die Intimsphäre darf gar
    105 nicht eingegriffen werden, in die Privat- oder
    106 Geheimnissphäre nur unter besonders strenger Wahrung des
    107 Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und in die Sozialsphäre
    108 bereits nach den Kriterien, die für einen Eingriff in die
    109 allgemeine Handlungsfreiheit gelten. Vgl. Murswiek, in:
    110 Sachs, GG, Art. 2 Rn. 104 m.w.N.] Die unterschiedliche
    111 Schutzintensität der drei Sphären kann aber nicht im Sinne
    112 eines starren Schemas verstanden werden, sondern nur als
    113 erster Orientierungspunkt für die Intensität der
    114 Grundrechtsbeeinträchtigung und für die Gewichtung der diese
    115 Beeinträchtigung rechtfertigenden Gründe.
    116 • wie viele Grundrechtsträger betroffen sind; [Fußnote:
    117 BVerfGE 115, 320, 347.]
    118 • wie intensiv die Beeinträchtigungen sind; [Fußnote:
    119 BVerfGE 115, 320, 347.]
    120 • welche Inhalte von dem Eingriff erfasst werden,
    121 insbesondere welchen Grad an Persönlichkeitsrelevanz die
    122 betroffenen Informationen je für sich und in ihrer
    123 Verknüpfung mit anderen aufweisen; [Fußnote: BVerfGE 115,
    124 320, 348.]
    125 • ob besondere Vertraulichkeitserwartungen verletzt werden;
    126 [Fußnote: BVerfGE 115, 320, 348.]
    127 • auf welchem Weg die Inhalte erlangt werden; [Fußnote:
    128 BVerfGE 115, 320, 348.]
    129 • welche weiteren Folgen oder Nachteile die Datenerhebung
    130 nach sich ziehen kann, z.B.
    131 - das Risiko, Gegenstand staatlicher Ermittlungsmaßnahmen zu
    132 werden, das über das allgemeine Risiko hinausgeht, einem
    133 unberechtigten Verdacht-ausgesetzt zu werden,
    134 - eine stigmatisierende Wirkung; [Fußnote: BVerfGE 115, 320,
    135 351 ff.]
    136 • die Heimlichkeit einer staatlichen Maßnahme, welche z.B.
    137 die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Rechtsschutz im
    138 Vergleich zur offenen Datenerhebung wesentlich erschwert;
    139 [Fußnote: Vgl. z.B. BVerfGE 120, 274, 325; 124, 43, 62 f.
    140 und 65 f.]
    141 • der Verdachtsgrad;
    142 • über welchen Zeitraum die Daten erhoben, verarbeitet und
    143 genutzt werden können;
    144 • und die Streubreite einer Maßnahme.
    145 Zum zuletzt genannten Punkt hat das BVerfG ausgeführt:
    146 „Grundrechtseingriffe, die sowohl durch Verdachtslosigkeit
    147 als auch durch eine große Streubreite gekennzeichnet sind –
    148 bei denen also zahlreiche Personen in den Wirkungsbereich
    149 einer Maßnahme einbezogen werden, die in keiner Beziehung zu
    150 einem konkreten Fehlverhalten stehen und den Eingriff durch
    151 ihr Verhalten nicht veranlasst haben – weisen grundsätzlich
    152 eine hohe Eingriffsintensität auf…. Denn der Einzelne ist in
    153 seiner grundrechtlichen Freiheit umso intensiver betroffen,
    154 je weniger er selbst für einen staatlichen Eingriff Anlass
    155 gegeben hat. Von solchen Eingriffen können ferner
    156 Einschüchterungseffekte ausgehen, die zu Beeinträchtigungen
    157 bei der Ausübung von Grundrechten führen können. … Es
    158 gefährdet die Unbefangenheit des Verhaltens, wenn die
    159 Streubreite von Ermittlungsmaßnahmen dazu beiträgt, dass
    160 Risiken des Missbrauchs und ein Gefühl des Überwachtwerdens
    161 entstehen … .“ [Fußnote: BVerfGE 115, 320, 354 f.]
    162 Das Bundesverfassungsgericht hat eine anlasslose Speicherung
    163 von Telekommunikationsverkehrsdaten zwar nicht schlechthin
    164 als verfassungswidrig angesehen, aber betont, dass es sich
    165 um einen besonders schweren Eingriff handele, der höchsten
    166 verfassungsrechtlichen Anforderungen bei der Ausgestaltung
    167 der Regelungen unterliegt.
    168 Je schwerer die Grundrechtsbeeinträchtigung wiegt, desto
    169 höher muss das staatliche Schutzgut wiegen, um den Eingriff
    170 rechtfertigen zu können. In die Waagschale gelegt werden
    171 können hier z.B.:
    172 • die Sicherheit des Staates als verfasste Friedens- und
    173 Ordnungsmacht und die von ihm zu gewährleistende Sicherheit
    174 der Bevölkerung vor Gefahren für Leib, Leben und Freiheit;[
    175 Fußnote: BVerfGE 120, 274, 319 und 328.]
    176 • die Abwehr von Beeinträchtigungen der Grundlagen einer
    177 freiheitlichen demokratischen Grundordnung; [Fußnote:
    178 BVerfGE 115, 320, 358.]
    179 • die Sicherung der Funktionsfähigkeit wesentlicher Teile
    180 existenzsichernder öffentlicher Versorgungseinrichtungen;
    181 [Fußnote: BVerfGE 120, 274, 328.]
    182 • die Verhütung und Verfolgung von Straftaten von
    183 erheblicher Bedeutung [Fußnote: BVerfGE 113, 348, 385.]bzw.
    184 schwerwiegender Straftaten. [Fußnote: BVerfG NJW 2010, 833,
    185 848 Rn. 279.]
    186 Eine absolute Grenze der Zulässigkeit einer Datenerhebung
    187 bildet die Schranken-Schranke des unantastbaren Kernbereichs
    188 privater Lebensgestaltung, insbesondere im Bereich der
    189 Intimsphäre. Staatliche Stellen „haben einen unantastbaren
    190 Kernbereich privater Lebensgestaltung zu wahren, dessen
    191 Schutz sich aus Art. 1 Abs. 1 GG ergibt. … Selbst
    192 überwiegende Interessen der Allgemeinheit können einen
    193 Eingriff in ihn nicht rechtfertigen … Zur Entfaltung der
    194 Persönlichkeit im Kernbereich privater Lebensgestaltung
    195 gehört die Möglichkeit, innere Vorgänge wie Empfindungen und
    196 Gefühle sowie Überlegungen, Ansichten und Erlebnisse
    197 höchstpersönlicher Art ohne die Angst zum Ausdruck zu
    198 bringen, dass staatliche Stellen dies überwachen.“ [Fußnote:
    199 BVerfGE 120, 274, 335.] Deshalb hat das BVerfG als
    200 Voraussetzung für einen Zugriff auf einen Bereich, in dem
    201 solche Kernbereichsdaten (z.B. tagebuchartige
    202 Aufzeichnungen, private Film- oder Tondokumente,
    203 höchstpersönliche Telefonate oder Emails) zu vermuten sind,
    204 das Erfordernis besonderer gesetzlicher Vorkehrungen
    205 aufgestellt, um den Kernbereich der privaten
    206 Lebensgestaltung zu schützen. [Fußnote: BVerfGE 120, 274,
    207 336 ff.]So lässt sich die (beiläufige) Erfassung solcher
    208 Daten nicht immer verhindern. Jedoch sind entsprechende
    209 Maßnahmen abzubrechen, sobald erkannt wird, dass sie in den
    210 Kernbereich vordringen oder zumindest im Nachhinein umgehend
    211 zu löschen. [Fußnote: BVerfGE 120, 274, 337.]
    212 Aber auch unabhängig von diesem Kernbereich hat der
    213 Gesetzgeber „organisatorische und verfahrensrechtliche
    214 Vorkehrungen zu treffen, welche der Gefahr einer Verletzung
    215 des Persönlichkeitsrechts entgegenwirken.“ [Fußnote: BVerfGE
    216 65, 1, 44.] Dazu gehört auch die Sicherheit der Daten. So
    217 hat das BVerfG in seiner Entscheidung zur
    218 Vorratsdatenspeicherung vor allem die „gesetzliche
    219 Gewährleistung eines besonders hohen Standards der
    220 Datensicherheit“ eingefordert. [Fußnote: BVerfG NJW 2010,
    221 833, 840 Rn. 221.]
    222 Im Falle des heimlichen Zugriffes auf die
    223 Datenverarbeitungsanlagen von Privatpersonen durch
    224 Sicherheitsbehörden (sog. Online-Durchsuchung) bestehen
    225 besonders hohe Hürden für den Gesetzgeber, die sich
    226 vorrangig aus dem neugeschaffenen Grundrecht auf
    227 Vertraulichkeit und der Integrität informationstechnischer
    228 Systeme ableiten. Sie sind nur zulässig, wenn Gefahren für
    229 überragend wichtige Rechtsgüter bestehen, die sich in
    230 Gestalt von tatsächlichen Anhaltspunkten einer konkreten
    231 Gefahr manifestieren. Neben dem grundsätzlich geltenden
    232 Vorbehalt richterlicher Anordnung müssen u.a. auch
    233 Vorkehrungen getroffen werden, die den Kernbereich privater
    234 Lebensgestaltung schützen.
  • 2.1.5 Einschränkungen von Grundrechten / Kollidierende Rechtsgüter (Originalversion)

    von EnqueteBuero, angelegt
    1 Gerade im Bereich des Internet sind zum Teil schwierige
    2 Grundrechtskollisionen vorgezeichnet, wie z.B. die sog.
    3 Spickmich-Entscheidung des BGH zeigt. Pauschale
    4 Gegenüberstellungen etwa mit dem Eigentumsgrundrecht oder
    5 der Berufausübungsfreiheit aber verbieten sich, da oft
    6 genug gefragt werden muss, ob bestimmte
    7 Grundrechtsausübungen zugleich den Schutz des Umgangs mit
    8 den Daten von dritten Grundrechtsträgern umfassen. Hier ist
    9 eine besonders differenzierte Darstellung zu empfehlen.
    10
    11 Jedermann hat das Recht, über die Preisgabe und Verwendung
    12 seiner persönlichen Daten grundsätzlich selbst zu
    13 bestimmen. Einschränkungen dieses Rechts auf
    14 informationelle Selbstbestimmung sind nur im überwiegenden
    15 Allgemeininteresse zulässig. Dieses „Recht auf
    16 informationelle Selbstbestimmung“, wie es das
    17 Bundesverfassungsgericht 1983 in seiner Entscheidung zur
    18 Volkszählung, also im Hinblick auf eine staatliche
    19 Maßnahme, beschrieben hat, ist einerseits - als Ausprägung
    20 des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 i.
    21 V. m. Art. 1 Abs. 1 GG – ein individuelles Abwehrrecht
    22 gegenüber staatlichen Eingriffen.
    23
    24 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wirkt
    25 sich das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aber
    26 darüberhinaus im Sinne einer Drittwirkung auch auf die
    27 Auslegung und Anwendung privatrechtlicher Vorschriften aus
    28 und begründet staatliche Schutzpflichten. Die staatliche
    29 Gewalt ist danach verpflichtet, dem Einzelnen seine
    30 informationelle Selbstbestimmung im Verhältnis zu Dritten
    31 zu ermöglichen. [Fußnote: BVerG, Beschluss vom 23.10.2006 –
    32 BvR 2027//02, Rn 30.]Gegebenenfalls müssen staatlicherseits
    33 die rechtlichen Bedingungen geschaffen und erhalten werden,
    34 unter denen der Einzelne selbstbestimmt an
    35 Kommunikationsprozessen teilnehmen kann. [Fußnote: BVerG,
    36 Beschluss vom 23.10.2006 – BvR 2027//02, Rn. 33.]
    37
    38 Nicht jede Beeinträchtigung eines grundrechtlichen
    39 Schutzbereichs führt per se zur Verfassungswidrigkeit der
    40 Maßnahme. Zum einen kann der Betroffene in die Maßnahme
    41 einwilligen und seine Daten freiwillig preisgeben, was vom
    42 Staat zu respektieren ist. [Fußnote: Vgl. BVerfG-K, 1 BvR
    43 2027/02 vom 23.10.2006, Absatz-Nr. 34,
    44 http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk20061023_1bvr202702.ht
    45 ml; Schoch, JURA 2008. 352, 357.] Aber auch ohne
    46 Einwilligung wird der verfassungsrechtliche Datenschutz
    47 nicht grenzenlos gewährleistet, sondern kann beschränkt
    48 werden. Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu bereits
    49 1983 im sogenannten Volkszählungsurteil dargelegt: "Das
    50 Grundrecht gewährleistet insoweit die Befugnis des
    51 Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und
    52 Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen.
    53 Einschränkungen dieses Rechts auf "informationelle
    54 Selbstbestimmung" sind nur im überwiegenden
    55 Allgemeininteresse zulässig."
    56
    57 Für diese Schrankenziehung hat das BVerfG seit dem
    58 Volkszählungsurteil eine Reihe von Vorgaben aufgestellt,
    59 die es zu beachten gilt. Dabei gelten für die genannten
    60 Grundrechte weitgehend die gleichen Maßstäbe. [Fußnote:
    61 Vgl. BVerfGE 115, 320, 347; Gurlit, NJW 2010, 1035, 1037 f.]
    62
    63 Grundlegende Voraussetzung für einen zulässigen Eingriff in
    64 das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist das
    65 Vorhandensein einer gesetzlichen Grundlage, welche die
    66 Voraussetzungen und den Umfang der Beschränkungen klar
    67 erkennen lässt. [Fußnote: BVerfGE 65, 1, 44.] Das
    68 Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage
    69 (Gesetzesvorbehalt) folgt bereits aus Art. 2 Abs. 1 GG,
    70 wonach das allgemeine Persönlichkeitsrecht nur innerhalb
    71 der verfassungsmäßigen Ordnung gewährleistet wird. Die
    72 gesetzliche Grundlage muss dem Gebot der Normenklarheit
    73 entsprechen, was bedeutet, dass Anlass, Zweck und Grenzen
    74 eines Eingriffs in der Ermächtigung bereichsspezifisch,
    75 präzise und für den Bürger klar erkennbar festgelegt werden
    76 müssen. [Fußnote: Kühling/Seidel/Sivridis,
    77 Datenschutzrecht, S. 79 m.w.N. aus der Rspr. des BVerfG.]
    78
    79 Weiterhin muss der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachtet
    80 werden. Das bedeutet, dass die Maßnahme einen legitimen
    81 Zweck verfolgen, zu dessen Erreichung geeignet,
    82 erforderlich und verhältnismäßig sein muss. [Fußnote:
    83 BVerfGE 115, 320, 345 ff.] Der Zweck muss von vornherein
    84 bestimmt sein. Die ständige Rechtsprechung des BVerfG
    85 bringt deutlich zum Ausdruck, „dass dem Staat eine Sammlung
    86 von personenbezogenen Daten auf Vorrat zu unbestimmten oder
    87 noch nicht bestimmbaren Zwecken verfassungsrechtlich strikt
    88 untersagt ist.“ [Fußnote: BVerfG NJW 2010, 833, 839 Rn.
    89 213.]
    90 Es besteht demnach ein "Schutz des Einzelnen gegen
    91 unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und
    92 Weitergabe seiner persönlichen Daten". Das Grundrecht auf
    93 informationelle Selbstbestimmung wird als besondere
    94 Ausprägung des schon zuvor grundrechtlich geschützten
    95 allgemeinen Persönlichkeitsrechts angesehen. Wie dieses
    96 wird es verfassungsrechtlich aus Art. 2 Abs. 1 (sog.
    97 allgemeine Handlungsfreiheit) in Verbindung mit Art. 1
    98 Abs. 1 GG (Menschenwürde-Garantie) hergeleitet.
    99
    100 In der Verhältnismäßigkeitsprüfung findet eine
    101 Güterabwägung zwischen dem verfolgten Zweck und dem Recht
    102 auf informationelle Selbstbestimmung statt. Dabei ist von
    103 der Prämisse auszugehen, dass Grundrechte „jeweils nur
    104 soweit beschränkt werden dürfen, als es zum Schutze
    105 öffentlicher Interessen unerlässlich ist.“ [Fußnote:
    106 BVerfGE 65, 1, 44.] In der Abwägung ist vor allem das
    107 Gewicht der Grundrechtsbeeinträchtigung zu beachten. Bei
    108 der Beurteilung der Schwere des Eingriffs sind z.B. die
    109 folgenden Kriterien zu berücksichtigen:
    110
    111 • in welche Sphäre die Maßnahme eingreift (Sozial-, Privat-
    112 oder Intimsphäre). [Fußnote: In die Intimsphäre darf gar
    113 nicht eingegriffen werden, in die Privat- oder
    114 Geheimnissphäre nur unter besonders strenger Wahrung des
    115 Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und in die Sozialsphäre
    116 bereits nach den Kriterien, die für einen Eingriff in die
    117 allgemeine Handlungsfreiheit gelten. Vgl. Murswiek, in:
    118 Sachs, GG, Art. 2 Rn. 104 m.w.N.] Die unterschiedliche
    119 Schutzintensität der drei Sphären kann aber nicht im Sinne
    120 eines starren Schemas verstanden werden, sondern nur als
    121 erster Orientierungspunkt für die Intensität der
    122 Grundrechtsbeeinträchtigung und für die Gewichtung der
    123 diese Beeinträchtigung rechtfertigenden Gründe.
    124
    125 • wie viele Grundrechtsträger betroffen sind; [Fußnote:
    126 BVerfGE 115, 320, 347.]
    127
    128 • wie intensiv die Beeinträchtigungen sind; [Fußnote:
    129 BVerfGE 115, 320, 347.]
    130
    131 • welche Inhalte von dem Eingriff erfasst werden,
    132 insbesondere welchen Grad an Persönlichkeitsrelevanz die
    133 betroffenen Informationen je für sich und in ihrer
    134 Verknüpfung mit anderen aufweisen; [Fußnote: BVerfGE 115,
    135 320, 348.]
    136
    137 • ob besondere Vertraulichkeitserwartungen verletzt werden;
    138 [Fußnote: BVerfGE 115, 320, 348.]
    139
    140 • auf welchem Weg die Inhalte erlangt werden; [Fußnote:
    141 BVerfGE 115, 320, 348.]
    142
    143 • welche weiteren Folgen oder Nachteile die Datenerhebung
    144 nach sich ziehen kann, z.B.
    145
    146 - das Risiko, Gegenstand staatlicher Ermittlungsmaßnahmen
    147 zu werden, das über das allgemeine Risiko hinausgeht, einem
    148 unberechtigten Verdacht-ausgesetzt zu werden,
    149
    150 - eine stigmatisierende Wirkung; [Fußnote: BVerfGE 115,
    151 320, 351 ff.]
    152
    153 • die Heimlichkeit einer staatlichen Maßnahme, welche z.B.
    154 die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Rechtsschutz im
    155 Vergleich zur offenen Datenerhebung wesentlich erschwert;
    156 [Fußnote: Vgl. z.B. BVerfGE 120, 274, 325; 124, 43, 62 f.
    157 und 65 f.]
    158
    159 • der Verdachtsgrad;
    160
    161 • über welchen Zeitraum die Daten erhoben, verarbeitet und
    162 genutzt werden können;
    163
    164 • und die Streubreite einer Maßnahme.
    165
    166 Zum zuletzt genannten Punkt hat das BVerfG ausgeführt:
    167 „Grundrechtseingriffe, die sowohl durch Verdachtslosigkeit
    168 als auch durch eine große Streubreite gekennzeichnet sind –
    169 bei denen also zahlreiche Personen in den Wirkungsbereich
    170 einer Maßnahme einbezogen werden, die in keiner Beziehung
    171 zu einem konkreten Fehlverhalten stehen und den Eingriff
    172 durch ihr Verhalten nicht veranlasst haben – weisen
    173 grundsätzlich eine hohe Eingriffsintensität auf.... Denn
    174 der Einzelne ist in seiner grundrechtlichen Freiheit umso
    175 intensiver betroffen, je weniger er selbst für einen
    176 staatlichen Eingriff Anlass gegeben hat. Von solchen
    177 Eingriffen können ferner Einschüchterungseffekte ausgehen,
    178 die zu Beeinträchtigungen bei der Ausübung von Grundrechten
    179 führen können. ... Es gefährdet die Unbefangenheit des
    180 Verhaltens, wenn die Streubreite von Ermittlungsmaßnahmen
    181 dazu beiträgt, dass Risiken des Missbrauchs und ein Gefühl
    182 des Überwachtwerdens entstehen ... .“ [Fußnote: BVerfGE
    183 115, 320, 354 f.]
    184
    185 Das Bundesverfassungsgericht hat eine anlasslose
    186 Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten zwar nicht
    187 schlechthin als verfassungswidrig angesehen, aber betont,
    188 dass es sich um einen besonders schweren Eingriff handele,
    189 der höchsten verfassungsrechtlichen Anforderungen bei der
    190 Ausgestaltung der Regelungen unterliegt.
    191
    192 Je schwerer die Grundrechtsbeeinträchtigung wiegt, desto
    193 höher muss das staatliche Schutzgut wiegen, um den Eingriff
    194 rechtfertigen zu können. In die Waagschale gelegt werden
    195 können hier z.B.:
    196
    197 • die Sicherheit des Staates als verfasste Friedens- und
    198 Ordnungsmacht und die von ihm zu gewährleistende Sicherheit
    199 der Bevölkerung vor Gefahren für Leib, Leben und Freiheit;[
    200 Fußnote: BVerfGE 120, 274, 319 und 328.]
    201
    202 • die Abwehr von Beeinträchtigungen der Grundlagen einer
    203 freiheitlichen demokratischen Grundordnung; [Fußnote:
    204 BVerfGE 115, 320, 358.]
    205
    206 • die Sicherung der Funktionsfähigkeit wesentlicher Teile
    207 existenzsichernder öffentlicher Versorgungseinrichtungen;
    208 [Fußnote: BVerfGE 120, 274, 328.]
    209
    210 • die Verhütung und Verfolgung von Straftaten von
    211 erheblicher Bedeutung [Fußnote: BVerfGE 113, 348, 385.]bzw.
    212 schwerwiegender Straftaten. [Fußnote: BVerfG NJW 2010, 833,
    213 848 Rn. 279.]
    214
    215 Eine absolute Grenze der Zulässigkeit einer Datenerhebung
    216 bildet die Schranken-Schranke des unantastbaren
    217 Kernbereichs privater Lebensgestaltung, insbesondere im
    218 Bereich der Intimsphäre. Staatliche Stellen „haben einen
    219 unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung zu
    220 wahren, dessen Schutz sich aus Art. 1 Abs. 1 GG ergibt.
    221 ... Selbst überwiegende Interessen der Allgemeinheit können
    222 einen Eingriff in ihn nicht rechtfertigen ... Zur
    223 Entfaltung der Persönlichkeit im Kernbereich privater
    224 Lebensgestaltung gehört die Möglichkeit, innere Vorgänge
    225 wie Empfindungen und Gefühle sowie Überlegungen, Ansichten
    226 und Erlebnisse höchstpersönlicher Art ohne die Angst zum
    227 Ausdruck zu bringen, dass staatliche Stellen dies
    228 überwachen.“ [Fußnote: BVerfGE 120, 274, 335.] Deshalb hat
    229 das BVerfG als Voraussetzung für einen Zugriff auf einen
    230 Bereich, in dem solche Kernbereichsdaten (z.B.
    231 tagebuchartige Aufzeichnungen, private Film- oder
    232 Tondokumente, höchstpersönliche Telefonate oder Emails) zu
    233 vermuten sind, das Erfordernis besonderer gesetzlicher
    234 Vorkehrungen aufgestellt, um den Kernbereich der privaten
    235 Lebensgestaltung zu schützen. [Fußnote: BVerfGE 120, 274,
    236 336 ff.]So lässt sich die (beiläufige) Erfassung solcher
    237 Daten nicht immer verhindern. Jedoch sind entsprechende
    238 Maßnahmen abzubrechen, sobald erkannt wird, dass sie in den
    239 Kernbereich vordringen oder zumindest im Nachhinein
    240 umgehend zu löschen. [Fußnote: BVerfGE 120, 274, 337.]
    241
    242 Aber auch unabhängig von diesem Kernbereich hat der
    243 Gesetzgeber „organisatorische und verfahrensrechtliche
    244 Vorkehrungen zu treffen, welche der Gefahr einer Verletzung
    245 des Persönlichkeitsrechts entgegenwirken.“ [Fußnote:
    246 BVerfGE 65, 1, 44.] Dazu gehört auch die Sicherheit der
    247 Daten. So hat das BVerfG in seiner Entscheidung zur
    248 Vorratsdatenspeicherung vor allem die „gesetzliche
    249 Gewährleistung eines besonders hohen Standards der
    250 Datensicherheit“ eingefordert. [Fußnote: BVerfG NJW 2010,
    251 833, 840 Rn. 221.]
    252
    253 Im Falle des heimlichen Zugriffes auf die
    254 Datenverarbeitungsanlagen von Privatpersonen durch
    255 Sicherheitsbehörden (sog. Online-Durchsuchung) bestehen
    256 besonders hohe Hürden für den Gesetzgeber, die sich
    257 vorrangig aus dem neugeschaffenen Grundrecht auf
    258 Vertraulichkeit und der Integrität informationstechnischer
    259 Systeme ableiten. Sie sind nur zulässig, wenn Gefahren für
    260 überragend wichtige Rechtsgüter bestehen, die sich in
    261 Gestalt von tatsächlichen Anhaltspunkten einer konkreten
    262 Gefahr manifestieren. Neben dem grundsätzlich geltenden
    263 Vorbehalt richterlicher Anordnung müssen u.a. auch
    264 Vorkehrungen getroffen werden, die den Kernbereich privater
    265 Lebensgestaltung schützen.
  • 2.1.5 Einschränkungen von Grundrechten / Kollidierende Rechtsgüter (Originalversion)

    von EnqueteBuero, angelegt
    1 Gerade im Bereich des Internet sind zum Teil schwierige
    2 Grundrechtskollisionen vorgezeichnet, wie z.B. die sog.
    3 Spickmich-Entscheidung des BGH zeigt. Pauschale
    4 Gegenüberstellungen etwa mit dem Eigentumsgrundrecht oder
    5 der Berufausübungsfreiheit aber verbieten sich, da oft
    6 genug gefragt werden muss, ob bestimmte
    7 Grundrechtsausübungen zugleich den Schutz des Umgangs mit
    8 den Daten von dritten Grundrechtsträgern umfassen. Hier ist
    9 eine besonders differenzierte Darstellung zu empfehlen.
    10
    11 Jedermann hat das Recht, über die Preisgabe und Verwendung
    12 seiner persönlichen Daten grundsätzlich selbst zu
    13 bestimmen. Einschränkungen dieses Rechts auf
    14 informationelle Selbstbestimmung sind nur im überwiegenden
    15 Allgemeininteresse zulässig. Dieses „Recht auf
    16 informationelle Selbstbestimmung“, wie es das
    17 Bundesverfassungsgericht 1983 in seiner Entscheidung zur
    18 Volkszählung, also im Hinblick auf eine staatliche
    19 Maßnahme, beschrieben hat, ist einerseits - als Ausprägung
    20 des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 i.
    21 V. m. Art. 1 Abs. 1 GG – ein individuelles Abwehrrecht
    22 gegenüber staatlichen Eingriffen.
    23
    24 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wirkt
    25 sich das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aber
    26 darüberhinaus im Sinne einer Drittwirkung auch auf die
    27 Auslegung und Anwendung privatrechtlicher Vorschriften aus
    28 und begründet staatliche Schutzpflichten. Die staatliche
    29 Gewalt ist danach verpflichtet, dem Einzelnen seine
    30 informationelle Selbstbestimmung im Verhältnis zu Dritten
    31 zu ermöglichen. [Fußnote: BVerG, Beschluss vom 23.10.2006 –
    32 BvR 2027//02, Rn 30.]Gegebenenfalls müssen staatlicherseits
    33 die rechtlichen Bedingungen geschaffen und erhalten werden,
    34 unter denen der Einzelne selbstbestimmt an
    35 Kommunikationsprozessen teilnehmen kann. [Fußnote: BVerG,
    36 Beschluss vom 23.10.2006 – BvR 2027//02, Rn. 33.]
    37
    38 Nicht jede Beeinträchtigung eines grundrechtlichen
    39 Schutzbereichs führt per se zur Verfassungswidrigkeit der
    40 Maßnahme. Zum einen kann der Betroffene in die Maßnahme
    41 einwilligen und seine Daten freiwillig preisgeben, was vom
    42 Staat zu respektieren ist. [Fußnote: Vgl. BVerfG-K, 1 BvR
    43 2027/02 vom 23.10.2006, Absatz-Nr. 34,
    44 http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk20061023_1bvr202702.ht
    45 ml; Schoch, JURA 2008. 352, 357.] Aber auch ohne
    46 Einwilligung wird der verfassungsrechtliche Datenschutz
    47 nicht grenzenlos gewährleistet, sondern kann beschränkt
    48 werden. Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu bereits
    49 1983 im sogenannten Volkszählungsurteil dargelegt: "Das
    50 Grundrecht gewährleistet insoweit die Befugnis des
    51 Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und
    52 Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen.
    53 Einschränkungen dieses Rechts auf "informationelle
    54 Selbstbestimmung" sind nur im überwiegenden
    55 Allgemeininteresse zulässig."
    56
    57 Für diese Schrankenziehung hat das BVerfG seit dem
    58 Volkszählungsurteil eine Reihe von Vorgaben aufgestellt,
    59 die es zu beachten gilt. Dabei gelten für die genannten
    60 Grundrechte weitgehend die gleichen Maßstäbe. [Fußnote:
    61 Vgl. BVerfGE 115, 320, 347; Gurlit, NJW 2010, 1035, 1037 f.]
    62
    63 Grundlegende Voraussetzung für einen zulässigen Eingriff in
    64 das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist das
    65 Vorhandensein einer gesetzlichen Grundlage, welche die
    66 Voraussetzungen und den Umfang der Beschränkungen klar
    67 erkennen lässt. [Fußnote: BVerfGE 65, 1, 44.] Das
    68 Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage
    69 (Gesetzesvorbehalt) folgt bereits aus Art. 2 Abs. 1 GG,
    70 wonach das allgemeine Persönlichkeitsrecht nur innerhalb
    71 der verfassungsmäßigen Ordnung gewährleistet wird. Die
    72 gesetzliche Grundlage muss dem Gebot der Normenklarheit
    73 entsprechen, was bedeutet, dass Anlass, Zweck und Grenzen
    74 eines Eingriffs in der Ermächtigung bereichsspezifisch,
    75 präzise und für den Bürger klar erkennbar festgelegt werden
    76 müssen. [Fußnote: Kühling/Seidel/Sivridis,
    77 Datenschutzrecht, S. 79 m.w.N. aus der Rspr. des BVerfG.]
    78
    79 Weiterhin muss der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachtet
    80 werden. Das bedeutet, dass die Maßnahme einen legitimen
    81 Zweck verfolgen, zu dessen Erreichung geeignet,
    82 erforderlich und verhältnismäßig sein muss. [Fußnote:
    83 BVerfGE 115, 320, 345 ff.] Der Zweck muss von vornherein
    84 bestimmt sein. Die ständige Rechtsprechung des BVerfG
    85 bringt deutlich zum Ausdruck, „dass dem Staat eine Sammlung
    86 von personenbezogenen Daten auf Vorrat zu unbestimmten oder
    87 noch nicht bestimmbaren Zwecken verfassungsrechtlich strikt
    88 untersagt ist.“ [Fußnote: BVerfG NJW 2010, 833, 839 Rn.
    89 213.]
    90 Es besteht demnach ein "Schutz des Einzelnen gegen
    91 unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und
    92 Weitergabe seiner persönlichen Daten". Das Grundrecht auf
    93 informationelle Selbstbestimmung wird als besondere
    94 Ausprägung des schon zuvor grundrechtlich geschützten
    95 allgemeinen Persönlichkeitsrechts angesehen. Wie dieses
    96 wird es verfassungsrechtlich aus Art. 2 Abs. 1 (sog.
    97 allgemeine Handlungsfreiheit) in Verbindung mit Art. 1
    98 Abs. 1 GG (Menschenwürde-Garantie) hergeleitet.
    99
    100 In der Verhältnismäßigkeitsprüfung findet eine
    101 Güterabwägung zwischen dem verfolgten Zweck und dem Recht
    102 auf informationelle Selbstbestimmung statt. Dabei ist von
    103 der Prämisse auszugehen, dass Grundrechte „jeweils nur
    104 soweit beschränkt werden dürfen, als es zum Schutze
    105 öffentlicher Interessen unerlässlich ist.“ [Fußnote:
    106 BVerfGE 65, 1, 44.] In der Abwägung ist vor allem das
    107 Gewicht der Grundrechtsbeeinträchtigung zu beachten. Bei
    108 der Beurteilung der Schwere des Eingriffs sind z.B. die
    109 folgenden Kriterien zu berücksichtigen:
    110
    111 • in welche Sphäre die Maßnahme eingreift (Sozial-, Privat-
    112 oder Intimsphäre). [Fußnote: In die Intimsphäre darf gar
    113 nicht eingegriffen werden, in die Privat- oder
    114 Geheimnissphäre nur unter besonders strenger Wahrung des
    115 Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und in die Sozialsphäre
    116 bereits nach den Kriterien, die für einen Eingriff in die
    117 allgemeine Handlungsfreiheit gelten. Vgl. Murswiek, in:
    118 Sachs, GG, Art. 2 Rn. 104 m.w.N.] Die unterschiedliche
    119 Schutzintensität der drei Sphären kann aber nicht im Sinne
    120 eines starren Schemas verstanden werden, sondern nur als
    121 erster Orientierungspunkt für die Intensität der
    122 Grundrechtsbeeinträchtigung und für die Gewichtung der
    123 diese Beeinträchtigung rechtfertigenden Gründe.
    124
    125 • wie viele Grundrechtsträger betroffen sind; [Fußnote:
    126 BVerfGE 115, 320, 347.]
    127
    128 • wie intensiv die Beeinträchtigungen sind; [Fußnote:
    129 BVerfGE 115, 320, 347.]
    130
    131 • welche Inhalte von dem Eingriff erfasst werden,
    132 insbesondere welchen Grad an Persönlichkeitsrelevanz die
    133 betroffenen Informationen je für sich und in ihrer
    134 Verknüpfung mit anderen aufweisen; [Fußnote: BVerfGE 115,
    135 320, 348.]
    136
    137 • ob besondere Vertraulichkeitserwartungen verletzt werden;
    138 [Fußnote: BVerfGE 115, 320, 348.]
    139
    140 • auf welchem Weg die Inhalte erlangt werden; [Fußnote:
    141 BVerfGE 115, 320, 348.]
    142
    143 • welche weiteren Folgen oder Nachteile die Datenerhebung
    144 nach sich ziehen kann, z.B.
    145
    146 - das Risiko, Gegenstand staatlicher Ermittlungsmaßnahmen
    147 zu werden, das über das allgemeine Risiko hinausgeht, einem
    148 unberechtigten Verdacht-ausgesetzt zu werden,
    149
    150 - eine stigmatisierende Wirkung; [Fußnote: BVerfGE 115,
    151 320, 351 ff.]
    152
    153 • die Heimlichkeit einer staatlichen Maßnahme, welche z.B.
    154 die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Rechtsschutz im
    155 Vergleich zur offenen Datenerhebung wesentlich erschwert;
    156 [Fußnote: Vgl. z.B. BVerfGE 120, 274, 325; 124, 43, 62 f.
    157 und 65 f.]
    158
    159 • der Verdachtsgrad;
    160
    161 • über welchen Zeitraum die Daten erhoben, verarbeitet und
    162 genutzt werden können;
    163
    164 • und die Streubreite einer Maßnahme.
    165
    166 Zum zuletzt genannten Punkt hat das BVerfG ausgeführt:
    167 „Grundrechtseingriffe, die sowohl durch Verdachtslosigkeit
    168 als auch durch eine große Streubreite gekennzeichnet sind –
    169 bei denen also zahlreiche Personen in den Wirkungsbereich
    170 einer Maßnahme einbezogen werden, die in keiner Beziehung
    171 zu einem konkreten Fehlverhalten stehen und den Eingriff
    172 durch ihr Verhalten nicht veranlasst haben – weisen
    173 grundsätzlich eine hohe Eingriffsintensität auf.... Denn
    174 der Einzelne ist in seiner grundrechtlichen Freiheit umso
    175 intensiver betroffen, je weniger er selbst für einen
    176 staatlichen Eingriff Anlass gegeben hat. Von solchen
    177 Eingriffen können ferner Einschüchterungseffekte ausgehen,
    178 die zu Beeinträchtigungen bei der Ausübung von Grundrechten
    179 führen können. ... Es gefährdet die Unbefangenheit des
    180 Verhaltens, wenn die Streubreite von Ermittlungsmaßnahmen
    181 dazu beiträgt, dass Risiken des Missbrauchs und ein Gefühl
    182 des Überwachtwerdens entstehen ... .“ [Fußnote: BVerfGE
    183 115, 320, 354 f.]
    184
    185 Das Bundesverfassungsgericht hat eine anlasslose
    186 Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten zwar nicht
    187 schlechthin als verfassungswidrig angesehen, aber betont,
    188 dass es sich um einen besonders schweren Eingriff handele,
    189 der höchsten verfassungsrechtlichen Anforderungen bei der
    190 Ausgestaltung der Regelungen unterliegt.
    191
    192 Je schwerer die Grundrechtsbeeinträchtigung wiegt, desto
    193 höher muss das staatliche Schutzgut wiegen, um den Eingriff
    194 rechtfertigen zu können. In die Waagschale gelegt werden
    195 können hier z.B.:
    196
    197 • die Sicherheit des Staates als verfasste Friedens- und
    198 Ordnungsmacht und die von ihm zu gewährleistende Sicherheit
    199 der Bevölkerung vor Gefahren für Leib, Leben und Freiheit;[
    200 Fußnote: BVerfGE 120, 274, 319 und 328.]
    201
    202 • die Abwehr von Beeinträchtigungen der Grundlagen einer
    203 freiheitlichen demokratischen Grundordnung; [Fußnote:
    204 BVerfGE 115, 320, 358.]
    205
    206 • die Sicherung der Funktionsfähigkeit wesentlicher Teile
    207 existenzsichernder öffentlicher Versorgungseinrichtungen;
    208 [Fußnote: BVerfGE 120, 274, 328.]
    209
    210 • die Verhütung und Verfolgung von Straftaten von
    211 erheblicher Bedeutung [Fußnote: BVerfGE 113, 348, 385.]bzw.
    212 schwerwiegender Straftaten. [Fußnote: BVerfG NJW 2010, 833,
    213 848 Rn. 279.]
    214
    215 Eine absolute Grenze der Zulässigkeit einer Datenerhebung
    216 bildet die Schranken-Schranke des unantastbaren
    217 Kernbereichs privater Lebensgestaltung, insbesondere im
    218 Bereich der Intimsphäre. Staatliche Stellen „haben einen
    219 unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung zu
    220 wahren, dessen Schutz sich aus Art. 1 Abs. 1 GG ergibt.
    221 ... Selbst überwiegende Interessen der Allgemeinheit können
    222 einen Eingriff in ihn nicht rechtfertigen ... Zur
    223 Entfaltung der Persönlichkeit im Kernbereich privater
    224 Lebensgestaltung gehört die Möglichkeit, innere Vorgänge
    225 wie Empfindungen und Gefühle sowie Überlegungen, Ansichten
    226 und Erlebnisse höchstpersönlicher Art ohne die Angst zum
    227 Ausdruck zu bringen, dass staatliche Stellen dies
    228 überwachen.“ [Fußnote: BVerfGE 120, 274, 335.] Deshalb hat
    229 das BVerfG als Voraussetzung für einen Zugriff auf einen
    230 Bereich, in dem solche Kernbereichsdaten (z.B.
    231 tagebuchartige Aufzeichnungen, private Film- oder
    232 Tondokumente, höchstpersönliche Telefonate oder Emails) zu
    233 vermuten sind, das Erfordernis besonderer gesetzlicher
    234 Vorkehrungen aufgestellt, um den Kernbereich der privaten
    235 Lebensgestaltung zu schützen. [Fußnote: BVerfGE 120, 274,
    236 336 ff.]So lässt sich die (beiläufige) Erfassung solcher
    237 Daten nicht immer verhindern. Jedoch sind entsprechende
    238 Maßnahmen abzubrechen, sobald erkannt wird, dass sie in den
    239 Kernbereich vordringen oder zumindest im Nachhinein
    240 umgehend zu löschen. [Fußnote: BVerfGE 120, 274, 337.]
    241
    242 Aber auch unabhängig von diesem Kernbereich hat der
    243 Gesetzgeber „organisatorische und verfahrensrechtliche
    244 Vorkehrungen zu treffen, welche der Gefahr einer Verletzung
    245 des Persönlichkeitsrechts entgegenwirken.“ [Fußnote:
    246 BVerfGE 65, 1, 44.] Dazu gehört auch die Sicherheit der
    247 Daten. So hat das BVerfG in seiner Entscheidung zur
    248 Vorratsdatenspeicherung vor allem die „gesetzliche
    249 Gewährleistung eines besonders hohen Standards der
    250 Datensicherheit“ eingefordert. [Fußnote: BVerfG NJW 2010,
    251 833, 840 Rn. 221.]
    252
    253 Im Falle des heimlichen Zugriffes auf die
    254 Datenverarbeitungsanlagen von Privatpersonen durch
    255 Sicherheitsbehörden (sog. Online-Durchsuchung) bestehen
    256 besonders hohe Hürden für den Gesetzgeber, die sich
    257 vorrangig aus dem neugeschaffenen Grundrecht auf
    258 Vertraulichkeit und der Integrität informationstechnischer
    259 Systeme ableiten. Sie sind nur zulässig, wenn Gefahren für
    260 überragend wichtige Rechtsgüter bestehen, die sich in
    261 Gestalt von tatsächlichen Anhaltspunkten einer konkreten
    262 Gefahr manifestieren. Neben dem grundsätzlich geltenden
    263 Vorbehalt richterlicher Anordnung müssen u.a. auch
    264 Vorkehrungen getroffen werden, die den Kernbereich privater
    265 Lebensgestaltung schützen.