Papier: 1.5 Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
Originalversion
1 | Neben den unter 3.1 erwähnten grundlegenden Entscheidungen, |
2 | dem „Volkszählungsurteil“ sowie dem Urteil zur |
3 | „Online-Durchsuchung“, hat sich das Bundesverfassungsgericht |
4 | in einer Reihe weiterer Entscheidungen mit Fragen der |
5 | informationellen Selbstbestimmung und verwandter Grundrechte |
6 | befasst. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht |
7 | enthält im Bereich des Datenschutzes vielfach sehr konkrete |
8 | und detaillierte Vorgaben für das gesetzgeberische Handeln. |
9 | [Fußnote: Gurlit, NJW 2010, 1035; Wolff NVwZ 2010, 751.] Aus |
10 | der umfangreichen Rechtsprechung des Gerichts zum |
11 | Datenschutz sei beispielhaft auf folgende Entscheidungen |
12 | hingewiesen: |
13 | |
14 | Gegenstand des Urteils vom 14. Juli 1999 [Fußnote: |
15 | „Telekommunikationsüberwachung“, BVerfGE 100, 313 ff.] waren |
16 | erweiterte Befugnisse des Bundesnachrichtendienstes zur |
17 | Überwachung, Aufzeichnung und Auswertung des |
18 | Telekommunikationsverkehrs sowie zur Übermittlung der daraus |
19 | erlangten Daten an andere Behörden. 1994 war das Gesetz zur |
20 | Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (G |
21 | 10) mit dem Ziel geändert worden, Informationen u. a. im |
22 | Bereich des internationalen Terrorismus, des Drogenhandels |
23 | und der Geldwäsche zu erlangen, um sie nachfolgend den |
24 | zuständigen Behörden zur Verhinderung, Aufklärung und |
25 | Verfolgung von Straftaten zur Verfügung zu stellen [Fußnote: |
26 | Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 28. Oktober 1994, BGBl. I |
27 | S. 3186.]. Mit Beschluss vom 5. Juli 1995 [Fußnote: BVerfGE |
28 | 93, 181.] bestimmte das Bundesverfassungsgericht im Rahmen |
29 | einer einstweiligen Anordnung, dass einzelne der |
30 | neugefassten Vorschriften zunächst nur eingeschränkt |
31 | angewendet werden dürften. In der Hauptsache urteilte das |
32 | Gericht 1999, einzelne Vorschriften verstießen gegen Art. 10 |
33 | GG. Das Fernmeldegeheimnis schütze in erster Linie den |
34 | Kommunikationsinhalt vor staatlicher Kenntnisnahme, daneben |
35 | aber auch die Kommunikationsumstände. Der Schutz erstrecke |
36 | sich auch auf den Informations- und |
37 | Datenverarbeitungsprozess, der sich an zulässige |
38 | Kenntnisnahmen von geschützten Kommunikationsvorgängen |
39 | anschließe, und den Gebrauch, der von den erlangten |
40 | Kenntnissen gemacht werde. Solle der Bundesnachrichtendienst |
41 | zu Eingriffen in das Fernmeldegeheimnis ermächtigt werden, |
42 | sei der Gesetzgeber verpflichtet, Vorsorge gegen Gefahren zu |
43 | treffen, die sich aus der Erhebung und Verwertung |
44 | personenbezogener Daten ergeben. Hierzu verwies das Gericht |
45 | auf die im Volkszählungsurteil entwickelten Kriterien für |
46 | Eingriffe in Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG. Diese |
47 | seien auch auf die speziellere Regelung des Art. 10 GG |
48 | übertragbar. Speicherung und Verwendung erlangter Daten |
49 | seien grundsätzlich an den Zweck gebunden, den das zur |
50 | Kenntnisnahme ermächtigende Gesetz festgelegt habe. |
51 | Zweckänderungen seien nur durch Allgemeinbelange |
52 | gerechtfertigt, die die grundrechtlich geschützten |
53 | Interessen überwiegen. Eine Sammlung nicht anonymisierter |
54 | Daten auf Vorrat zu unbestimmten oder noch nicht |
55 | bestimmbaren Zwecken sei mit diesen Vorgaben unvereinbar. |
56 | |
57 | Mit Beschluss vom 14. Dezember 2000 [Fußnote: „Genetischer |
58 | Fingerabdruck“, BVerfGE 103, 21.] stellt das Gericht fest, |
59 | dass die Feststellung, Speicherung und künftige Verwendung |
60 | des „genetischen Fingerabdrucks“ auf der Grundlage von § 81g |
61 | StPO und § 2 DNA-Identitätsfeststellungsgesetz in das Recht |
62 | auf informationelle Selbstbestimmung eingreife, es sich aber |
63 | um einen rechtlich zulässigen Grundrechtseingriff handele, |
64 | da u. a. das Gebot der Normenklarheit, das Übermaßverbot und |
65 | der Richtervorbehalt gewahrt seien. |
66 | |
67 | Im Urteil vom 12. April 2005 [Fußnote: „GPS-Überwachung“, |
68 | BVerfGE 112, 304.] äußerte sich das Bundesverfassungsgericht |
69 | zu einer weiteren Vorschrift der Strafprozessordnung. |
70 | Gesetzliche Grundlage für Beweiserhebungen unter Einsatz |
71 | eines satellitengestützten Ortungssystem |
72 | (Global-Positioning-System, “GPS“) und die Verwertung der |
73 | Erkenntnisse war im zu Grunde liegenden Sachverhalt § 100c |
74 | Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b Strafprozessordnung (StPO) damaliger |
75 | Fassung, wonach ohne Wissen des Betroffenen „besondere für |
76 | Observationszwecke bestimmte technische Mittel“ eingesetzt |
77 | werden konnten. Die Vorschrift sei verfassungsgemäß, da sie |
78 | hinreichend bestimmt sei und nicht in den unantastbaren |
79 | Kernbereich privater Lebensgestaltung eingreife. Wegen des |
80 | schnellen und für den Grundrechtsschutz riskanten |
81 | informationstechnischen Wandels sei der Gesetzgeber aber |
82 | aufgerufen, die technischen Entwicklungen aufmerksam zu |
83 | verfolgen und notfalls korrigierend einzugreifen. |
84 | |
85 | Die Durchsuchung und Beschlagnahme des gesamten |
86 | elektronischen Datenbestands einer ge-meinsam betriebenen |
87 | Rechtsanwaltskanzlei und Steuerberatungsgesellschaft |
88 | (Beschluss vom 12. April 2005 [Fußnote: „Beschlagnahme von |
89 | Datenträgern“, BVerfGE 113, 29.]) im Rahmen eines gegen |
90 | einen der Berufsträger gerichteten Ermittlungsverfahrens |
91 | qualifizierte das Bundesverfassungsgericht als erheblichen |
92 | Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, |
93 | dem durch strikte Beachtung des |
94 | Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und bestimmter |
95 | Verfahrensregelungen Rechnung getragen werden müsse. Zu |
96 | berücksichtigen sei u. a., dass das Vertrauensverhältnis |
97 | zwischen Rechtsanwälten und Mandanten rechtlich besonders |
98 | geschützt und durch die Streubreite der sichergestellten |
99 | Daten eine Vielzahl gänzlich unbeteiligter Personen von der |
100 | Beschlagnahme betroffen sei. |
101 | |
102 | Zu den verfassungsrechtlichen Grenzen der Rasterfahndung, |
103 | bei der den Polizeibehörden von anderen Stellen |
104 | personenbezogene Daten übermittelt und nachfolgend einem |
105 | automatisierten Abgleich nach bestimmten Merkmalen |
106 | unterzogen werden, hat das Bundesverfassungsgericht mit |
107 | Beschluss vom 4. April 2006 entschieden. Eine präventive |
108 | polizeiliche Rasterfahndung stelle einen Grundrechtseingriff |
109 | von besonderer Intensität dar und sei daher mit dem |
110 | Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung nur dann |
111 | vereinbar, wenn eine konkrete Gefahr für hochrangige |
112 | Rechtsgüter wie den Bestand oder die Sicherheit des Bundes |
113 | oder eines Landes oder für Leib, Leben oder Freiheit einer |
114 | Person gegeben sei [Fußnote: „Rasterfahndung“, BVerfGE 93, |
115 | 181.]. Eine allgemeine Bedrohungslage, wie etwa seit dem 11. |
116 | September 2001, ohne das Vorliegen weiterer Tatsachen, sei |
117 | dafür nicht ausreichend. |
118 | |
119 | Mit Beschluss vom 13. Juni 2007 [Fußnote: „Kontenabfrage“, |
120 | BVerfGE 118, 68.] erklärte das Gericht Vorschriften zum |
121 | automatischen Kontenabruf teilweise für verfassungswidrig, |
122 | da gegen den verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz |
123 | verstoßen werde. Die angegriffenen Regelungen ermächtigten |
124 | einzelne Behörden zur automatisierten Abfrage von Daten, die |
125 | von den Kreditinstituten vorgehalten werden müssen. Soweit |
126 | das Gebot der Normenklarheit nicht eingehalten worden sei, |
127 | verstoße die Regelung gegen das Recht auf informationelle |
128 | Selbstbestimmung. Einen solchen Verstoß bejahte das Gericht |
129 | hinsichtlich § 93 Abs. 8 Abgabenordnung (AO) damaliger |
130 | Fassung, da der Kreis der zur Kontenabfrage berechtigten |
131 | Behörden und die dabei verfolgten Zwecke nicht hinreichend |
132 | festgelegt worden seien. |
133 | |
134 | Auch eine Geschwindigkeitsmessung auf der Grundlage einer |
135 | Verwaltungsvorschrift stellt nach der Rechtsprechung des |
136 | Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 11. August 2009 |
137 | [Fußnote: „Verkehrsüberwachung“, NJW 2009, 3293.]) eine |
138 | unzulässige Einschränkung des Rechts auf informationelle |
139 | Selbstbestimmung dar, da eine solche Maßnahme nur auf |
140 | gesetzlicher Grundlage, die dem Gebot der Normenklarheit und |
141 | Verhältnismäßigkeit zu entsprechen habe, zulässig sei. |
142 | |
143 | Die Einführung der Vorratsdatenspeicherung durch das „Gesetz |
144 | zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung“ [Fußnote: |
145 | Vom 21. Dezember 2007, BGBl. I S. 3198.] zur Umsetzung der |
146 | Richtlinie 2006/24 /EG in deutsches Recht ist Gegenstand |
147 | mehrerer Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. Nach |
148 | § 113a TKG waren Telekommunikationsdiensteanbieter |
149 | verpflichtet, Verkehrsdaten von Telefondiensten (Festnetz, |
150 | Mobilfunk, Fax, SMS, MMS), E-Mail-Diensten und |
151 | Internetdiensten vorsorglich anlasslos für die Dauer von |
152 | sechs Monaten zu speichern. Die zulässigen Zwecke der |
153 | Datenverwendung waren in § 113b TKG, die Verwendung der |
154 | Daten für die Strafverfolgung in § 100g StPO geregelt. |
155 | Nachdem das Gericht mit Beschluss vom 28. Oktober 2008 |
156 | [Fußnote: BVerfGE 122, 120.] im Wege der einstweiligen |
157 | Anordnung Teile der Vorratsdatenspeicherung außer Kraft |
158 | gesetzt hatte, entschied es mit Urteil vom 2. März 2010 |
159 | [Fußnote: “Vorratsdatenspeicherung”, NJW 2010, 833.] in der |
160 | Hauptsache, dass die Regelung des TKG und der StPO über die |
161 | Vorratsdatenspeicherung mit Art. 10 Abs. 1 GG nicht |
162 | unvereinbar und damit nichtig seien. Die |
163 | Vorratsdatenspeicherung durch private |
164 | Telekommunikationsunter-nehmen greife in den Schutzbereich |
165 | des Fernmeldegeheimnis ein, da diese als „Hilfspersonen“ für |
166 | die Aufgabenerfüllung staatlicher Behörden in Anspruch |
167 | genommen würden. Zwar sei eine Speicherungspflicht in dem |
168 | vorgesehenen Umfang nicht von vornherein schlechthin |
169 | verfassungswidrig. Es fehle aber an einer dem |
170 | Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechenden Ausgestaltung. |
171 | Datensicherheit, Begrenzung der Verwendungszwecke, |
172 | verfassungsrechtliche Transparenz und |
173 | Rechtschutzanforderungen seien nicht hinreichend |
174 | gewährleistet. |
175 | Für die Frage, zum Schutz welcher Rechtsgüter der Datenabruf |
176 | als verhältnismäßig anzusehen ist, differenziert das Gericht |
177 | zwischen der unmittelbaren und mittelbaren Nutzung der |
178 | Daten. Der Abruf und die unmittelbare Nutzung der Daten |
179 | seien nur verhältnismäßig, wenn sie überragend wichtigen |
180 | Aufgaben des Rechtsgüterschutzes dienten. Im Bereich der |
181 | Strafverfolgung setzte dies einen durch bestimmte Tatsachen |
182 | begründeten Verdacht einer schweren Straftat voraus. Für die |
183 | Gefahrenabwehr und die Erfüllung der Aufgaben der |
184 | Nachrichtendienste dürften sie nur bei Vorliegen |
185 | tatsächlicher Anhaltspunkte für eine konkrete Gefahr für |
186 | Leib, Leben oder Freiheit einer Person, für den Bestand oder |
187 | die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für eine |
188 | gemeine Gefahr zugelassen werden. |
189 | Soweit die Behörden in §§ 113b Satz 1 Halbs. 2, 113 TKG zur |
190 | Identifizierung von IP-Adressen berechtigt wurden, von |
191 | Diensteanbietern auf der Grundlage gespeicherter |
192 | Verkehrsdaten die Identität bestimmter, bereits bekannter |
193 | IP-Adressen zu erfragen, sei diese nur mittelbare Nutzung |
194 | der Daten auch unabhängig von begrenzenden Straftaten- oder |
195 | Rechtsgüterkatalogen für die Strafverfolgung, Gefahrenabwehr |
196 | und die Wahrnehmung nachrichtendienstlicher Aufgaben |
197 | zulässig. Für die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten |
198 | könnten solche Auskünfte hingegen nur in gesetzlich |
199 | ausdrücklich benannten Fällen von besonderem Gewicht erlaubt |
200 | werden. |
Der Text verglichen mit der Originalversion
1 | Neben den unter 3.1 erwähnten grundlegenden Entscheidungen, |
2 | dem „Volkszählungsurteil“ sowie dem Urteil zur |
3 | „Online-Durchsuchung“, hat sich das Bundesverfassungsgericht |
4 | in einer Reihe weiterer Entscheidungen mit Fragen der |
5 | informationellen Selbstbestimmung und verwandter Grundrechte |
6 | befasst. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht |
7 | enthält im Bereich des Datenschutzes vielfach sehr konkrete |
8 | und detaillierte Vorgaben für das gesetzgeberische Handeln. |
9 | [Fußnote: Gurlit, NJW 2010, 1035; Wolff NVwZ 2010, 751.] Aus |
10 | der umfangreichen Rechtsprechung des Gerichts zum |
11 | Datenschutz sei beispielhaft auf folgende Entscheidungen |
12 | hingewiesen: |
13 | |
14 | Gegenstand des Urteils vom 14. Juli 1999 [Fußnote: |
15 | „Telekommunikationsüberwachung“, BVerfGE 100, 313 ff.] waren |
16 | erweiterte Befugnisse des Bundesnachrichtendienstes zur |
17 | Überwachung, Aufzeichnung und Auswertung des |
18 | Telekommunikationsverkehrs sowie zur Übermittlung der daraus |
19 | erlangten Daten an andere Behörden. 1994 war das Gesetz zur |
20 | Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (G |
21 | 10) mit dem Ziel geändert worden, Informationen u. a. im |
22 | Bereich des internationalen Terrorismus, des Drogenhandels |
23 | und der Geldwäsche zu erlangen, um sie nachfolgend den |
24 | zuständigen Behörden zur Verhinderung, Aufklärung und |
25 | Verfolgung von Straftaten zur Verfügung zu stellen [Fußnote: |
26 | Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 28. Oktober 1994, BGBl. I |
27 | S. 3186.]. Mit Beschluss vom 5. Juli 1995 [Fußnote: BVerfGE |
28 | 93, 181.] bestimmte das Bundesverfassungsgericht im Rahmen |
29 | einer einstweiligen Anordnung, dass einzelne der |
30 | neugefassten Vorschriften zunächst nur eingeschränkt |
31 | angewendet werden dürften. In der Hauptsache urteilte das |
32 | Gericht 1999, einzelne Vorschriften verstießen gegen Art. 10 |
33 | GG. Das Fernmeldegeheimnis schütze in erster Linie den |
34 | Kommunikationsinhalt vor staatlicher Kenntnisnahme, daneben |
35 | aber auch die Kommunikationsumstände. Der Schutz erstrecke |
36 | sich auch auf den Informations- und |
37 | Datenverarbeitungsprozess, der sich an zulässige |
38 | Kenntnisnahmen von geschützten Kommunikationsvorgängen |
39 | anschließe, und den Gebrauch, der von den erlangten |
40 | Kenntnissen gemacht werde. Solle der Bundesnachrichtendienst |
41 | zu Eingriffen in das Fernmeldegeheimnis ermächtigt werden, |
42 | sei der Gesetzgeber verpflichtet, Vorsorge gegen Gefahren zu |
43 | treffen, die sich aus der Erhebung und Verwertung |
44 | personenbezogener Daten ergeben. Hierzu verwies das Gericht |
45 | auf die im Volkszählungsurteil entwickelten Kriterien für |
46 | Eingriffe in Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG. Diese |
47 | seien auch auf die speziellere Regelung des Art. 10 GG |
48 | übertragbar. Speicherung und Verwendung erlangter Daten |
49 | seien grundsätzlich an den Zweck gebunden, den das zur |
50 | Kenntnisnahme ermächtigende Gesetz festgelegt habe. |
51 | Zweckänderungen seien nur durch Allgemeinbelange |
52 | gerechtfertigt, die die grundrechtlich geschützten |
53 | Interessen überwiegen. Eine Sammlung nicht anonymisierter |
54 | Daten auf Vorrat zu unbestimmten oder noch nicht |
55 | bestimmbaren Zwecken sei mit diesen Vorgaben unvereinbar. |
56 | |
57 | Mit Beschluss vom 14. Dezember 2000 [Fußnote: „Genetischer |
58 | Fingerabdruck“, BVerfGE 103, 21.] stellt das Gericht fest, |
59 | dass die Feststellung, Speicherung und künftige Verwendung |
60 | des „genetischen Fingerabdrucks“ auf der Grundlage von § 81g |
61 | StPO und § 2 DNA-Identitätsfeststellungsgesetz in das Recht |
62 | auf informationelle Selbstbestimmung eingreife, es sich aber |
63 | um einen rechtlich zulässigen Grundrechtseingriff handele, |
64 | da u. a. das Gebot der Normenklarheit, das Übermaßverbot und |
65 | der Richtervorbehalt gewahrt seien. |
66 | |
67 | Im Urteil vom 12. April 2005 [Fußnote: „GPS-Überwachung“, |
68 | BVerfGE 112, 304.] äußerte sich das Bundesverfassungsgericht |
69 | zu einer weiteren Vorschrift der Strafprozessordnung. |
70 | Gesetzliche Grundlage für Beweiserhebungen unter Einsatz |
71 | eines satellitengestützten Ortungssystem |
72 | (Global-Positioning-System, “GPS“) und die Verwertung der |
73 | Erkenntnisse war im zu Grunde liegenden Sachverhalt § 100c |
74 | Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b Strafprozessordnung (StPO) damaliger |
75 | Fassung, wonach ohne Wissen des Betroffenen „besondere für |
76 | Observationszwecke bestimmte technische Mittel“ eingesetzt |
77 | werden konnten. Die Vorschrift sei verfassungsgemäß, da sie |
78 | hinreichend bestimmt sei und nicht in den unantastbaren |
79 | Kernbereich privater Lebensgestaltung eingreife. Wegen des |
80 | schnellen und für den Grundrechtsschutz riskanten |
81 | informationstechnischen Wandels sei der Gesetzgeber aber |
82 | aufgerufen, die technischen Entwicklungen aufmerksam zu |
83 | verfolgen und notfalls korrigierend einzugreifen. |
84 | |
85 | Die Durchsuchung und Beschlagnahme des gesamten |
86 | elektronischen Datenbestands einer ge-meinsam betriebenen |
87 | Rechtsanwaltskanzlei und Steuerberatungsgesellschaft |
88 | (Beschluss vom 12. April 2005 [Fußnote: „Beschlagnahme von |
89 | Datenträgern“, BVerfGE 113, 29.]) im Rahmen eines gegen |
90 | einen der Berufsträger gerichteten Ermittlungsverfahrens |
91 | qualifizierte das Bundesverfassungsgericht als erheblichen |
92 | Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, |
93 | dem durch strikte Beachtung des |
94 | Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und bestimmter |
95 | Verfahrensregelungen Rechnung getragen werden müsse. Zu |
96 | berücksichtigen sei u. a., dass das Vertrauensverhältnis |
97 | zwischen Rechtsanwälten und Mandanten rechtlich besonders |
98 | geschützt und durch die Streubreite der sichergestellten |
99 | Daten eine Vielzahl gänzlich unbeteiligter Personen von der |
100 | Beschlagnahme betroffen sei. |
101 | |
102 | Zu den verfassungsrechtlichen Grenzen der Rasterfahndung, |
103 | bei der den Polizeibehörden von anderen Stellen |
104 | personenbezogene Daten übermittelt und nachfolgend einem |
105 | automatisierten Abgleich nach bestimmten Merkmalen |
106 | unterzogen werden, hat das Bundesverfassungsgericht mit |
107 | Beschluss vom 4. April 2006 entschieden. Eine präventive |
108 | polizeiliche Rasterfahndung stelle einen Grundrechtseingriff |
109 | von besonderer Intensität dar und sei daher mit dem |
110 | Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung nur dann |
111 | vereinbar, wenn eine konkrete Gefahr für hochrangige |
112 | Rechtsgüter wie den Bestand oder die Sicherheit des Bundes |
113 | oder eines Landes oder für Leib, Leben oder Freiheit einer |
114 | Person gegeben sei [Fußnote: „Rasterfahndung“, BVerfGE 93, |
115 | 181.]. Eine allgemeine Bedrohungslage, wie etwa seit dem 11. |
116 | September 2001, ohne das Vorliegen weiterer Tatsachen, sei |
117 | dafür nicht ausreichend. |
118 | |
119 | Mit Beschluss vom 13. Juni 2007 [Fußnote: „Kontenabfrage“, |
120 | BVerfGE 118, 68.] erklärte das Gericht Vorschriften zum |
121 | automatischen Kontenabruf teilweise für verfassungswidrig, |
122 | da gegen den verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz |
123 | verstoßen werde. Die angegriffenen Regelungen ermächtigten |
124 | einzelne Behörden zur automatisierten Abfrage von Daten, die |
125 | von den Kreditinstituten vorgehalten werden müssen. Soweit |
126 | das Gebot der Normenklarheit nicht eingehalten worden sei, |
127 | verstoße die Regelung gegen das Recht auf informationelle |
128 | Selbstbestimmung. Einen solchen Verstoß bejahte das Gericht |
129 | hinsichtlich § 93 Abs. 8 Abgabenordnung (AO) damaliger |
130 | Fassung, da der Kreis der zur Kontenabfrage berechtigten |
131 | Behörden und die dabei verfolgten Zwecke nicht hinreichend |
132 | festgelegt worden seien. |
133 | |
134 | Auch eine Geschwindigkeitsmessung auf der Grundlage einer |
135 | Verwaltungsvorschrift stellt nach der Rechtsprechung des |
136 | Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 11. August 2009 |
137 | [Fußnote: „Verkehrsüberwachung“, NJW 2009, 3293.]) eine |
138 | unzulässige Einschränkung des Rechts auf informationelle |
139 | Selbstbestimmung dar, da eine solche Maßnahme nur auf |
140 | gesetzlicher Grundlage, die dem Gebot der Normenklarheit und |
141 | Verhältnismäßigkeit zu entsprechen habe, zulässig sei. |
142 | |
143 | Die Einführung der Vorratsdatenspeicherung durch das „Gesetz |
144 | zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung“ [Fußnote: |
145 | Vom 21. Dezember 2007, BGBl. I S. 3198.] zur Umsetzung der |
146 | Richtlinie 2006/24 /EG in deutsches Recht ist Gegenstand |
147 | mehrerer Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. Nach |
148 | § 113a TKG waren Telekommunikationsdiensteanbieter |
149 | verpflichtet, Verkehrsdaten von Telefondiensten (Festnetz, |
150 | Mobilfunk, Fax, SMS, MMS), E-Mail-Diensten und |
151 | Internetdiensten vorsorglich anlasslos für die Dauer von |
152 | sechs Monaten zu speichern. Die zulässigen Zwecke der |
153 | Datenverwendung waren in § 113b TKG, die Verwendung der |
154 | Daten für die Strafverfolgung in § 100g StPO geregelt. |
155 | Nachdem das Gericht mit Beschluss vom 28. Oktober 2008 |
156 | [Fußnote: BVerfGE 122, 120.] im Wege der einstweiligen |
157 | Anordnung Teile der Vorratsdatenspeicherung außer Kraft |
158 | gesetzt hatte, entschied es mit Urteil vom 2. März 2010 |
159 | [Fußnote: “Vorratsdatenspeicherung”, NJW 2010, 833.] in der |
160 | Hauptsache, dass die Regelung des TKG und der StPO über die |
161 | Vorratsdatenspeicherung mit Art. 10 Abs. 1 GG nicht |
162 | unvereinbar und damit nichtig seien. Die |
163 | Vorratsdatenspeicherung durch private |
164 | Telekommunikationsunter-nehmen greife in den Schutzbereich |
165 | des Fernmeldegeheimnis ein, da diese als „Hilfspersonen“ für |
166 | die Aufgabenerfüllung staatlicher Behörden in Anspruch |
167 | genommen würden. Zwar sei eine Speicherungspflicht in dem |
168 | vorgesehenen Umfang nicht von vornherein schlechthin |
169 | verfassungswidrig. Es fehle aber an einer dem |
170 | Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechenden Ausgestaltung. |
171 | Datensicherheit, Begrenzung der Verwendungszwecke, |
172 | verfassungsrechtliche Transparenz und |
173 | Rechtschutzanforderungen seien nicht hinreichend |
174 | gewährleistet. |
175 | Für die Frage, zum Schutz welcher Rechtsgüter der Datenabruf |
176 | als verhältnismäßig anzusehen ist, differenziert das Gericht |
177 | zwischen der unmittelbaren und mittelbaren Nutzung der |
178 | Daten. Der Abruf und die unmittelbare Nutzung der Daten |
179 | seien nur verhältnismäßig, wenn sie überragend wichtigen |
180 | Aufgaben des Rechtsgüterschutzes dienten. Im Bereich der |
181 | Strafverfolgung setzte dies einen durch bestimmte Tatsachen |
182 | begründeten Verdacht einer schweren Straftat voraus. Für die |
183 | Gefahrenabwehr und die Erfüllung der Aufgaben der |
184 | Nachrichtendienste dürften sie nur bei Vorliegen |
185 | tatsächlicher Anhaltspunkte für eine konkrete Gefahr für |
186 | Leib, Leben oder Freiheit einer Person, für den Bestand oder |
187 | die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für eine |
188 | gemeine Gefahr zugelassen werden. |
189 | Soweit die Behörden in §§ 113b Satz 1 Halbs. 2, 113 TKG zur |
190 | Identifizierung von IP-Adressen berechtigt wurden, von |
191 | Diensteanbietern auf der Grundlage gespeicherter |
192 | Verkehrsdaten die Identität bestimmter, bereits bekannter |
193 | IP-Adressen zu erfragen, sei diese nur mittelbare Nutzung |
194 | der Daten auch unabhängig von begrenzenden Straftaten- oder |
195 | Rechtsgüterkatalogen für die Strafverfolgung, Gefahrenabwehr |
196 | und die Wahrnehmung nachrichtendienstlicher Aufgaben |
197 | zulässig. Für die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten |
198 | könnten solche Auskünfte hingegen nur in gesetzlich |
199 | ausdrücklich benannten Fällen von besonderem Gewicht erlaubt |
200 | werden. |
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