Papier: 1.4 Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH)
Originalversion
1 | Erste Entscheidungen des EuGH zur Datenschutzrichtlinie |
2 | datieren aus dem Jahr 2003. [Fußnote: Roßnagel, MMR 2004, |
3 | 95, 100.] |
4 | |
5 | In einem am 20. Mai 2003 entschiedenen Verfahren (C-465/00) |
6 | wandten sich Mitarbeiter des Österreichischen Rundfunks |
7 | gegen eine österreichische Regelung, auf Grund derer ihre |
8 | Jahresbezüge mit ihren Namen dem Rechnungshof mitzuteilen |
9 | waren und nachfolgend vom Rechnungshof veröffentlicht |
10 | wurden. Besonders streitig war in diesem Zusammenhang, ob |
11 | die Datenschutzrichtlinie, die auf die Kompetenz der |
12 | Gemeinschaft zur Errichtung des Binnenmarktes gestützt wurde |
13 | und durch Harmonisierung der nationalen Vorschriften den |
14 | freien Datenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten |
15 | gewährleisten soll, auf diesen Sachverhalt überhaupt |
16 | anwendbar war. Denn im konkreten Fall lag ein Zusammenhang |
17 | mit den europarechtlichen Grundfreiheiten eher fern. Das |
18 | Gericht hat die Anwendbarkeit der Richtlinie dennoch bejaht. |
19 | Nach Auffassung des Gerichts kann die Anwendbarkeit der |
20 | Richtlinie im Einzelfall nicht davon abhängen, ob ein |
21 | Zusammenhang mit dem freien Verkehr zwischen den |
22 | Mitgliedstaaten besteht. [Fußnote: Dieses weite Verständnis |
23 | des Anwendungsbereichs der Richtlinie trägt nach Auffassung |
24 | des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die |
25 | Informationsfreiheit sehr zur „Europäisierung des |
26 | Datenschutzes“ bei: |
27 | http://www.bfdi.bund.de/DE/GesetzeUndRechtsprechung/Rechtspr |
28 | echung/Arbeit/Artikel/200503_OesterreichischerRundfunk.html? |
29 | nn=408918] |
30 | |
31 | Die Darstellung anderer Personen auf einer privaten |
32 | schwedischen Website ohne deren Zustimmung war Gegenstand im |
33 | Fall „Lindqvist“ vom 6. November 2003 (C-101/01). In seinem |
34 | Urteil nahm der EUGH erstmals zur Veröffentlichung |
35 | personenbezogener Daten im Internet Stellung und entschied, |
36 | dass die Einstellung ins Internet zwar eine Verarbeitung von |
37 | Daten im Sinne der Datenschutzrichtlinie darstelle, nicht |
38 | aber als Übermittlung in Drittländer und damit nicht als |
39 | grenzüberschreitender Datenaustausch anzusehen sei. Das |
40 | Gericht äußerte sich auch zur Frage des Ausgleichs zwischen |
41 | Datenschutz und widerstreitenden Grundrechten, insbesondere |
42 | der Meinungsfreiheit. Es sei Sache der nationalen Behörden |
43 | und Gerichte, ein angemessenes Gleichgewicht zwischen den |
44 | betroffenen Rechten und Interessen einschließlich |
45 | geschützter Grundrechte herzustellen und hierbei |
46 | insbesondere den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu |
47 | wahren. Im Übrigen sei es zulässig, dass die Mitgliedstaaten |
48 | den Geltungsbereich ihrer Datenschutzgesetze über den |
49 | Anwendungsbereich der Richtlinie hinaus ausdehnen, soweit |
50 | dem keine Bestimmung des Gemeinschaftsrechts entgegenstehe. |
51 | |
52 | Zur Übermittlung von Fluggastdaten an die USA nahm der EuGH |
53 | am 30. Mai 2006 (C-317/04) Stellung. Es erklärte die zu |
54 | Grunde liegende Genehmigung des Abkommens zwischen der EU |
55 | und den USA durch den Rat für nichtig. Dasselbe galt für die |
56 | zum selben Sachverhalt ergangene Entscheidung der |
57 | Kommission, mit der das US-amerikanische Datenschutzniveau |
58 | für angemessen im Sinne des Art. 25 der |
59 | Datenschutzrichtlinie erklärt wurde. Wie sich aus den |
60 | Begründungserwägungen ergebe, seien Sinn und Zweck der |
61 | Datenübermittlung in die USA die Terrorismusbekämpfung. |
62 | Gegenstand beider Rechtsakte sei daher das Strafrecht. Daher |
63 | sei die Datenschutzrichtlinie [Fußnote: S. a. Art. 3 Abs. 2 |
64 | zweiter Spiegelstrich der Datenschutzrichtlinie.] keine |
65 | geeignete Rechtsgrundlage. Mangels Rechtsgrundlage waren der |
66 | Ratsbeschluss und die Kommissionsentscheidung für nichtig zu |
67 | erklären. In dem Urteil des EuGH vom 10. Februar 2009 |
68 | (C-301/06) über die Vorratsdatenspeicherungs-Richtlinie |
69 | konzentriert sich das Gericht ebenfalls auf Fragen der |
70 | Rechtsetzungskompetenz. Grundrechtliche Fragen waren nicht |
71 | Gegenstand des Verfahrens. Die |
72 | Vorratsdatenspeicherungs-Richtlinie stelle keine Regelung |
73 | der Strafverfolgung dar, sondern habe - anders als bei der |
74 | Fluggastdatenübermittlung - den Zweck, durch Harmonisierung |
75 | das Handeln der Telekommunikationsdienstleister im |
76 | Binnenmarkt zu erleichtern. Die Richtlinie sei daher zu |
77 | Recht auf der Grundlage der Binnenmarktkompetenz erlassen |
78 | worden. Anders als von der Klage geltend gemacht sei ein |
79 | Rahmenbeschluss nach den Bestimmungen über die polizeiliche |
80 | und justizielle Zusammenarbeit nicht erforderlich. |
81 | |
82 | Im Hinblick auf das zentrale deutsche Ausländerregister |
83 | entschied der EuGH mit Urteil vom 16. Dezember 2008 |
84 | („Huber“, C-524/06), dass die Speicherung und Verarbeitung |
85 | personenbezogener Daten namentlich genannter Personen zu |
86 | statistischen Zwecken nicht dem Erforderlichkeitsgebot |
87 | [Fußnote: Art. 7 Buchst. e Datenschutzrichtlinie.] im Sinne |
88 | der europäischen Richtlinie zum Schutz personenbezogener |
89 | Daten entspreche und die Nutzung der im Register enthaltenen |
90 | Daten zur Bekämpfung der Kriminalität gegen das |
91 | Diskriminierungsverbot verstoße, da diese Nutzung auf die |
92 | Verfolgung von Verbrechen und Vergehen unabhängig von der |
93 | Staatsangehörigkeit abstelle. Ein System zur Verarbeitung |
94 | personenbezogener Daten, das der Kriminalitätsbekämpfung |
95 | diene, aber nur EU-Ausländer erfasse, sei mit dem Verbot der |
96 | Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit |
97 | unvereinbar. |
98 | |
99 | Zum Verhältnis von Pressefreiheit und Datenschutz äußerte |
100 | sich der EuGH in seiner Entschei-dung vom 16. Dezember 2008 |
101 | („Markkinapörrsi“, C-73/07). Das Unternehmen Markkinapörrsi |
102 | veröffentlicht Steuerdaten (Namen und Einkommen), die bei |
103 | den finnischen Steuerbehörden öffentlich zugänglich sind. |
104 | Der EuGH sah auch diese Weiterveröffentlichung bereits |
105 | öffentlich zugänglicher Informationen als Datenverarbeitung |
106 | im Sinne der Datenschutzrichtlinie an. Um Datenschutz und |
107 | Meinungsfreiheit in Ausgleich zu bringen, seien die |
108 | Mitgliedstaaten aufgerufen, Einschränkungen des |
109 | Datenschutzes vorzusehen. Entsprechende Ausnahmen dürften |
110 | allein zu journalistischen, künstlerischen oder |
111 | literarischen Zwecken, die unter das Grundrecht der |
112 | Meinungsfreiheit fallen, gemacht werden, soweit sie sich als |
113 | notwendig erweisen, um das Recht der Privatsphäre mit den |
114 | für die Meinungsfreiheit geltenden Vorschriften in Einklang |
115 | zu bringen. In Anbetracht der hohen Bedeutung der |
116 | Meinungsfreiheit müsse der Begriff des „Journalismus“ und |
117 | damit zusammenhängende Begriffe weit ausgelegt werden. |
118 | Andererseits müssten sich Einschränkungen des Datenschutzes |
119 | aus Gründen der Meinungsfreiheit auf das absolut Notwendige |
120 | beschränken. |
121 | |
122 | Mit Urteil vom 9. März 2010 (C-518/07) entschied der EuGH in |
123 | einem Vertragsverletzungsverfahren, das die EU-Kommission |
124 | gegen Deutschland angestrengt hatte. Die organisatorische |
125 | Einbindung der Datenschutzaufsicht für den |
126 | nicht-öffentlichen Bereich in die Innenministerien einiger |
127 | Bundesländer sowie die Aufsicht der Landesregierungen über |
128 | die Datenschutzbehörden entspreche nicht den Vorgaben der |
129 | Datenschutzrichtlinie. Vielmehr sei nach Art. 28 der |
130 | Richtlinie erforderlich, dass diese Stellen ihre Aufgabe „in |
131 | völliger Unabhängigkeit“ wahrnehmen. |
132 | |
133 | Um den Widerstreit von Transparenz und Datenschutz geht es |
134 | bei der Entscheidung vom 29. Juni 2010 im „Bavarian |
135 | Lager“-Fall (C-28/08). Die Kommission hatte es abgelehnt, |
136 | gegenüber der Gesellschaft Bavarian Lager Company die Namen |
137 | der Teilnehmer eines im Rahmen eines |
138 | Vertragsverletzungsverfahrens abgehaltenen vertraulichen |
139 | Treffens offenzulegen. Die Kommission berief sich darauf, |
140 | dass der Zugang zu Dokumenten nur unter Beachtung des |
141 | Datenschutzes zulässig sei. Das Europäische Gericht hatte |
142 | 2007 in erster Instanz entschieden, dass die Herausgabe der |
143 | Dokumente nur dann verweigert werden könne, wenn der Schutz |
144 | der Privatsphäre verletzt werde. Das sei bei einer bloßen |
145 | Namensnennung auf einer Teilnehmerliste im beruflichen |
146 | Kontext nicht der Fall. Auf der Grundlage der Verordnung |
147 | 45/2001/EG sowie der Verordnung 1049/2001/EG [Fußnote: |
148 | Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. |
149 | Mai 2001 über den öffentlichen Zugang zu Dokumenten des |
150 | Parlaments, des Rates und der Kommission (ABl. 2001 L 8, S. |
151 | 43).] entschied der EuGH im Juni 2010, dass die Kommission |
152 | rechtmäßig gehandelt habe. Die in dem Sitzungsprotokoll |
153 | aufgeführten Teilnehmernamen seien personenbezogene Daten. |
154 | Da Bavarian Lager Argumente für die Notwendigkeit der |
155 | Übermittlung dieser Daten oder ein berechtigtes Interesse |
156 | nicht vorgetragen habe, könne die Kommission keine |
157 | Interessenabwägung vornehmen. Die Verpflichtung zur |
158 | Transparenz sei daher im konkreten Falle von der Kommission |
159 | hinreichend gewahrt worden. |
160 | |
161 | Demgegenüber sah das Gericht bei der |
162 | Internet-Veröffentlichung der Namen aller natürlichen |
163 | Personen, die EU-Agrarsubventionen empfangen haben, den |
164 | Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt, da hierbei nicht |
165 | nach einschlägigen Kriterien wie Häufigkeit, Art und Höhe |
166 | der Beihilfen unterschieden wurde. Das Interesse der |
167 | Steuerzahler an Informationen über die Verwendung |
168 | öffentlicher Gelder rechtfertige einen solchen Eingriff in |
169 | das Recht auf Schutz der personenbezogenen Daten nach Art. 8 |
170 | der Grundrechtcharta nicht (Urteil vom 9. November 2010, |
171 | C-92/09, C-93/09). |
Der Text verglichen mit der Originalversion
1 | Erste Entscheidungen des EuGH zur Datenschutzrichtlinie |
2 | datieren aus dem Jahr 2003. [Fußnote: Roßnagel, MMR 2004, |
3 | 95, 100.] |
4 | |
5 | In einem am 20. Mai 2003 entschiedenen Verfahren (C-465/00) |
6 | wandten sich Mitarbeiter des Österreichischen Rundfunks |
7 | gegen eine österreichische Regelung, auf Grund derer ihre |
8 | Jahresbezüge mit ihren Namen dem Rechnungshof mitzuteilen |
9 | waren und nachfolgend vom Rechnungshof veröffentlicht |
10 | wurden. Besonders streitig war in diesem Zusammenhang, ob |
11 | die Datenschutzrichtlinie, die auf die Kompetenz der |
12 | Gemeinschaft zur Errichtung des Binnenmarktes gestützt wurde |
13 | und durch Harmonisierung der nationalen Vorschriften den |
14 | freien Datenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten |
15 | gewährleisten soll, auf diesen Sachverhalt überhaupt |
16 | anwendbar war. Denn im konkreten Fall lag ein Zusammenhang |
17 | mit den europarechtlichen Grundfreiheiten eher fern. Das |
18 | Gericht hat die Anwendbarkeit der Richtlinie dennoch bejaht. |
19 | Nach Auffassung des Gerichts kann die Anwendbarkeit der |
20 | Richtlinie im Einzelfall nicht davon abhängen, ob ein |
21 | Zusammenhang mit dem freien Verkehr zwischen den |
22 | Mitgliedstaaten besteht. [Fußnote: Dieses weite Verständnis |
23 | des Anwendungsbereichs der Richtlinie trägt nach Auffassung |
24 | des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die |
25 | Informationsfreiheit sehr zur „Europäisierung des |
26 | Datenschutzes“ bei: |
27 | http://www.bfdi.bund.de/DE/GesetzeUndRechtsprechung/Rechtspr |
28 | echung/Arbeit/Artikel/200503_OesterreichischerRundfunk.html? |
29 | nn=408918] |
30 | |
31 | Die Darstellung anderer Personen auf einer privaten |
32 | schwedischen Website ohne deren Zustimmung war Gegenstand im |
33 | Fall „Lindqvist“ vom 6. November 2003 (C-101/01). In seinem |
34 | Urteil nahm der EUGH erstmals zur Veröffentlichung |
35 | personenbezogener Daten im Internet Stellung und entschied, |
36 | dass die Einstellung ins Internet zwar eine Verarbeitung von |
37 | Daten im Sinne der Datenschutzrichtlinie darstelle, nicht |
38 | aber als Übermittlung in Drittländer und damit nicht als |
39 | grenzüberschreitender Datenaustausch anzusehen sei. Das |
40 | Gericht äußerte sich auch zur Frage des Ausgleichs zwischen |
41 | Datenschutz und widerstreitenden Grundrechten, insbesondere |
42 | der Meinungsfreiheit. Es sei Sache der nationalen Behörden |
43 | und Gerichte, ein angemessenes Gleichgewicht zwischen den |
44 | betroffenen Rechten und Interessen einschließlich |
45 | geschützter Grundrechte herzustellen und hierbei |
46 | insbesondere den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu |
47 | wahren. Im Übrigen sei es zulässig, dass die Mitgliedstaaten |
48 | den Geltungsbereich ihrer Datenschutzgesetze über den |
49 | Anwendungsbereich der Richtlinie hinaus ausdehnen, soweit |
50 | dem keine Bestimmung des Gemeinschaftsrechts entgegenstehe. |
51 | |
52 | Zur Übermittlung von Fluggastdaten an die USA nahm der EuGH |
53 | am 30. Mai 2006 (C-317/04) Stellung. Es erklärte die zu |
54 | Grunde liegende Genehmigung des Abkommens zwischen der EU |
55 | und den USA durch den Rat für nichtig. Dasselbe galt für die |
56 | zum selben Sachverhalt ergangene Entscheidung der |
57 | Kommission, mit der das US-amerikanische Datenschutzniveau |
58 | für angemessen im Sinne des Art. 25 der |
59 | Datenschutzrichtlinie erklärt wurde. Wie sich aus den |
60 | Begründungserwägungen ergebe, seien Sinn und Zweck der |
61 | Datenübermittlung in die USA die Terrorismusbekämpfung. |
62 | Gegenstand beider Rechtsakte sei daher das Strafrecht. Daher |
63 | sei die Datenschutzrichtlinie [Fußnote: S. a. Art. 3 Abs. 2 |
64 | zweiter Spiegelstrich der Datenschutzrichtlinie.] keine |
65 | geeignete Rechtsgrundlage. Mangels Rechtsgrundlage waren der |
66 | Ratsbeschluss und die Kommissionsentscheidung für nichtig zu |
67 | erklären. In dem Urteil des EuGH vom 10. Februar 2009 |
68 | (C-301/06) über die Vorratsdatenspeicherungs-Richtlinie |
69 | konzentriert sich das Gericht ebenfalls auf Fragen der |
70 | Rechtsetzungskompetenz. Grundrechtliche Fragen waren nicht |
71 | Gegenstand des Verfahrens. Die |
72 | Vorratsdatenspeicherungs-Richtlinie stelle keine Regelung |
73 | der Strafverfolgung dar, sondern habe - anders als bei der |
74 | Fluggastdatenübermittlung - den Zweck, durch Harmonisierung |
75 | das Handeln der Telekommunikationsdienstleister im |
76 | Binnenmarkt zu erleichtern. Die Richtlinie sei daher zu |
77 | Recht auf der Grundlage der Binnenmarktkompetenz erlassen |
78 | worden. Anders als von der Klage geltend gemacht sei ein |
79 | Rahmenbeschluss nach den Bestimmungen über die polizeiliche |
80 | und justizielle Zusammenarbeit nicht erforderlich. |
81 | |
82 | Im Hinblick auf das zentrale deutsche Ausländerregister |
83 | entschied der EuGH mit Urteil vom 16. Dezember 2008 |
84 | („Huber“, C-524/06), dass die Speicherung und Verarbeitung |
85 | personenbezogener Daten namentlich genannter Personen zu |
86 | statistischen Zwecken nicht dem Erforderlichkeitsgebot |
87 | [Fußnote: Art. 7 Buchst. e Datenschutzrichtlinie.] im Sinne |
88 | der europäischen Richtlinie zum Schutz personenbezogener |
89 | Daten entspreche und die Nutzung der im Register enthaltenen |
90 | Daten zur Bekämpfung der Kriminalität gegen das |
91 | Diskriminierungsverbot verstoße, da diese Nutzung auf die |
92 | Verfolgung von Verbrechen und Vergehen unabhängig von der |
93 | Staatsangehörigkeit abstelle. Ein System zur Verarbeitung |
94 | personenbezogener Daten, das der Kriminalitätsbekämpfung |
95 | diene, aber nur EU-Ausländer erfasse, sei mit dem Verbot der |
96 | Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit |
97 | unvereinbar. |
98 | |
99 | Zum Verhältnis von Pressefreiheit und Datenschutz äußerte |
100 | sich der EuGH in seiner Entschei-dung vom 16. Dezember 2008 |
101 | („Markkinapörrsi“, C-73/07). Das Unternehmen Markkinapörrsi |
102 | veröffentlicht Steuerdaten (Namen und Einkommen), die bei |
103 | den finnischen Steuerbehörden öffentlich zugänglich sind. |
104 | Der EuGH sah auch diese Weiterveröffentlichung bereits |
105 | öffentlich zugänglicher Informationen als Datenverarbeitung |
106 | im Sinne der Datenschutzrichtlinie an. Um Datenschutz und |
107 | Meinungsfreiheit in Ausgleich zu bringen, seien die |
108 | Mitgliedstaaten aufgerufen, Einschränkungen des |
109 | Datenschutzes vorzusehen. Entsprechende Ausnahmen dürften |
110 | allein zu journalistischen, künstlerischen oder |
111 | literarischen Zwecken, die unter das Grundrecht der |
112 | Meinungsfreiheit fallen, gemacht werden, soweit sie sich als |
113 | notwendig erweisen, um das Recht der Privatsphäre mit den |
114 | für die Meinungsfreiheit geltenden Vorschriften in Einklang |
115 | zu bringen. In Anbetracht der hohen Bedeutung der |
116 | Meinungsfreiheit müsse der Begriff des „Journalismus“ und |
117 | damit zusammenhängende Begriffe weit ausgelegt werden. |
118 | Andererseits müssten sich Einschränkungen des Datenschutzes |
119 | aus Gründen der Meinungsfreiheit auf das absolut Notwendige |
120 | beschränken. |
121 | |
122 | Mit Urteil vom 9. März 2010 (C-518/07) entschied der EuGH in |
123 | einem Vertragsverletzungsverfahren, das die EU-Kommission |
124 | gegen Deutschland angestrengt hatte. Die organisatorische |
125 | Einbindung der Datenschutzaufsicht für den |
126 | nicht-öffentlichen Bereich in die Innenministerien einiger |
127 | Bundesländer sowie die Aufsicht der Landesregierungen über |
128 | die Datenschutzbehörden entspreche nicht den Vorgaben der |
129 | Datenschutzrichtlinie. Vielmehr sei nach Art. 28 der |
130 | Richtlinie erforderlich, dass diese Stellen ihre Aufgabe „in |
131 | völliger Unabhängigkeit“ wahrnehmen. |
132 | |
133 | Um den Widerstreit von Transparenz und Datenschutz geht es |
134 | bei der Entscheidung vom 29. Juni 2010 im „Bavarian |
135 | Lager“-Fall (C-28/08). Die Kommission hatte es abgelehnt, |
136 | gegenüber der Gesellschaft Bavarian Lager Company die Namen |
137 | der Teilnehmer eines im Rahmen eines |
138 | Vertragsverletzungsverfahrens abgehaltenen vertraulichen |
139 | Treffens offenzulegen. Die Kommission berief sich darauf, |
140 | dass der Zugang zu Dokumenten nur unter Beachtung des |
141 | Datenschutzes zulässig sei. Das Europäische Gericht hatte |
142 | 2007 in erster Instanz entschieden, dass die Herausgabe der |
143 | Dokumente nur dann verweigert werden könne, wenn der Schutz |
144 | der Privatsphäre verletzt werde. Das sei bei einer bloßen |
145 | Namensnennung auf einer Teilnehmerliste im beruflichen |
146 | Kontext nicht der Fall. Auf der Grundlage der Verordnung |
147 | 45/2001/EG sowie der Verordnung 1049/2001/EG [Fußnote: |
148 | Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. |
149 | Mai 2001 über den öffentlichen Zugang zu Dokumenten des |
150 | Parlaments, des Rates und der Kommission (ABl. 2001 L 8, S. |
151 | 43).] entschied der EuGH im Juni 2010, dass die Kommission |
152 | rechtmäßig gehandelt habe. Die in dem Sitzungsprotokoll |
153 | aufgeführten Teilnehmernamen seien personenbezogene Daten. |
154 | Da Bavarian Lager Argumente für die Notwendigkeit der |
155 | Übermittlung dieser Daten oder ein berechtigtes Interesse |
156 | nicht vorgetragen habe, könne die Kommission keine |
157 | Interessenabwägung vornehmen. Die Verpflichtung zur |
158 | Transparenz sei daher im konkreten Falle von der Kommission |
159 | hinreichend gewahrt worden. |
160 | |
161 | Demgegenüber sah das Gericht bei der |
162 | Internet-Veröffentlichung der Namen aller natürlichen |
163 | Personen, die EU-Agrarsubventionen empfangen haben, den |
164 | Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt, da hierbei nicht |
165 | nach einschlägigen Kriterien wie Häufigkeit, Art und Höhe |
166 | der Beihilfen unterschieden wurde. Das Interesse der |
167 | Steuerzahler an Informationen über die Verwendung |
168 | öffentlicher Gelder rechtfertige einen solchen Eingriff in |
169 | das Recht auf Schutz der personenbezogenen Daten nach Art. 8 |
170 | der Grundrechtcharta nicht (Urteil vom 9. November 2010, |
171 | C-92/09, C-93/09). |
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