Papier: 1.3.4 Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

Originalversion

1 Neben den unter 1.3.1 erwähnten grundlegenden
2 Entscheidungen, dem „Volkszählungsurteil“ sowie dem Urteil
3 zur „Online-Durchsuchung“, hat sich das BVerfG in einer
4 Reihe weiterer Entscheidungen mit Fragen der
5 informationellen Selbstbestimmung und verwandter Grundrechte
6 befasst. Die Rechtsprechung des BVerfG enthält im Bereich
7 des Datenschutzes vielfach sehr konkrete und detaillierte
8 Vorgaben für das gesetzgeberische Handeln. Aus der
9 umfangreichen Rechtsprechung des Gerichts zum Datenschutz
10 sei beispielhaft auf folgende Entscheidungen hingewiesen:
11
12 Gegenstand des Urteils vom 14. Juli 1999 waren erweiterte
13 Befugnisse des Bundesnachrichtendienstes zur Überwachung,
14 Aufzeichnung und Auswertung des Telekommunikationsverkehrs
15 sowie zur Übermittlung der daraus erlangten Daten an andere
16 Behörden. 1994 war das Gesetz zur Beschränkung des Brief-,
17 Post- und Fernmeldegeheimnisses (G 10) mit dem Ziel geändert
18 worden, Informationen u. a. im Bereich des internationalen
19 Terrorismus, des Drogenhandels und der Geldwäsche zu
20 erlangen, um sie nachfolgend den zuständigen Behörden zur
21 Verhinderung, Aufklärung und Verfolgung von Straftaten zur
22 Verfügung zu stellen. Mit Beschluss vom 5. Juli 1995
23 bestimmte das BVerfG im Rahmen einer einstweiligen
24 Anordnung, dass einzelne der neugefassten Vorschriften
25 zunächst nur eingeschränkt angewendet werden dürften. In der
26 Hauptsache urteilte das Gericht 1999, einzelne Vorschriften
27 verstießen gegen Art. 10 GG. Das Fernmeldegeheimnis schütze
28 in erster Linie den Kommunikationsinhalt vor staatlicher
29 Kenntnisnahme, daneben aber auch die Kommunikationsumstände.
30 Der Schutz erstrecke sich auch auf den Infor-mations- und
31 Datenverarbeitungsprozess, der sich an zulässige
32 Kenntnisnahmen von geschützten Kommunikationsvorgängen
33 anschließe, und den Gebrauch, der von den erlangten
34 Kenntnissen gemacht werde. Solle der Bundesnachrichtendienst
35 zu Eingriffen in das Fernmeldegeheimnis ermächtigt werden,
36 sei der Gesetzgeber verpflichtet, Vorsorge gegen Gefahren zu
37 treffen, die sich aus der Erhebung und Verwertung
38 personenbezogener Daten ergeben. Hierzu verwies das Gericht
39 auf die im Volkszählungsurteil entwickelten Kriterien für
40 Eingriffe in Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG. Diese
41 seien auch auf die speziellere Regelung des Art. 10 GG
42 übertragbar. Speicherung und Verwendung erlangter Daten
43 seien grundsätzlich an den Zweck gebunden, den das zur
44 Kenntnisnahme ermächtigende Gesetz festgelegt habe.
45 Zweckänderungen seien nur durch Allgemeinbelange
46 gerechtfertigt, die die grundrechtlich geschützten
47 Interessen überwiegen. Eine Sammlung nicht anonymisierter
48 Daten auf Vorrat zu unbestimmten oder noch nicht
49 bestimmbaren Zwecken sei mit diesen Vorgaben unvereinbar.
50
51 Mit Beschluss vom 14. Dezember 2000 stellt das Gericht
52 fest, dass die Feststellung, Speicherung und künftige
53 Verwendung des „genetischen Fingerabdrucks“ auf der
54 Grundlage von § 81g StPO und § 2
55 DNA-Identitätsfeststellungsgesetz in das Recht auf
56 informationelle Selbstbestimmung eingreife, es sich aber um
57 einen rechtlich zulässigen Grundrechtseingriff handele, da
58 u. a. das Gebot der Normenklarheit, das Übermaßverbot und
59 der Richtervorbehalt gewahrt seien.
60
61 Im Urteil vom 12. April 2005 äußerte sich das BVerfG zu
62 einer weiteren Vorschrift der Strafprozessordnung.
63 Gesetzliche Grundlage für Beweiserhebungen unter Einsatz
64 eines satellitengestützten Ortungssystems
65 (Global-Positioning-System, “GPS“) und die Verwertung der
66 Erkenntnisse war im zu Grunde liegenden Sachverhalt § 100c
67 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b Strafprozessordnung (StPO) damaliger
68 Fassung, wonach ohne Wissen des Betroffenen „besondere für
69 Observationszwecke bestimmte technische Mittel“ eingesetzt
70 werden konnten. Die Vorschrift sei verfassungsgemäß, da sie
71 hinreichend bestimmt sei und nicht in den unantastbaren
72 Kernbereich privater Lebensgestaltung eingreife. Wegen des
73 schnellen und für den Grundrechtsschutz riskanten
74 informationstechnischen Wandels sei der Gesetzgeber aber
75 aufgerufen, die technischen Entwicklungen aufmerksam zu
76 verfolgen und notfalls korrigierend einzugreifen.
77
78 Die Durchsuchung und Beschlagnahme des gesamten
79 elektronischen Datenbestands einer ge-meinsam betriebenen
80 Rechtsanwaltskanzlei und Steuerberatungsgesellschaft
81 (Beschluss vom 12. April 2005 ) – im Rahmen eines gegen
82 einen der Berufsträger gerichteten Ermittlungsverfahrens –
83 qualifizierte das BVerfG als erheblichen Eingriff in das
84 Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Dem müsse durch
85 strikte Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und
86 bestimmter Verfahrensregelungen Rechnung getragen werden. Zu
87 berücksichtigen sei u. a., dass das Vertrauensverhältnis
88 zwischen Rechtsanwälten und Mandanten rechtlich besonders
89 geschützt und durch die Streubreite der sichergestellten
90 Daten eine Vielzahl gänzlich unbeteiligter Personen von der
91 Beschlagnahme betroffen sei.
92
93 Zu den verfassungsrechtlichen Grenzen der Rasterfahndung,
94 bei der den Polizeibehörden von anderen Stellen
95 personenbezogene Daten übermittelt und nachfolgend einem
96 automatisierten Abgleich nach bestimmten Merkmalen
97 unterzogen werden, hat das BVerfG mit Beschluss vom 4. April
98 2006 entschieden. Eine präventive polizeiliche
99 Rasterfahndung stelle einen Grundrechtseingriff von
100 besonderer Intensität dar und sei daher mit dem Grundrecht
101 auf informationelle Selbstbestimmung nur dann vereinbar,
102 wenn eine konkrete Gefahr für hochrangige Rechtsgüter wie
103 den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes
104 oder für Leib, Leben oder Freiheit einer Person gegeben sei
105 . Eine allgemeine Bedrohungslage, wie etwa seit dem 11.
106 September 2001, ohne das Vorliegen weiterer Tatsachen, sei
107 dafür nicht ausreichend.
108
109 Mit Beschluss vom 13. Juni 2007 erklärte das Gericht
110 Vorschriften zum automatischen Kontenabruf teilweise für
111 verfassungswidrig, da gegen den verfassungsrechtlichen
112 Bestimmtheitsgrundsatz verstoßen werde. Die angegriffenen
113 Regelungen ermächtigten einzelne Behörden zur
114 automatisierten Abfrage von Daten, die von den
115 Kreditinstituten vorgehalten werden müssen. Soweit das Gebot
116 der Normenklarheit nicht eingehalten worden sei, verstoße
117 die Regelung gegen das Recht auf informationelle
118 Selbstbestimmung. Einen solchen Verstoß bejahte das Gericht
119 hinsichtlich § 93 Abs. 8 Abgabenordnung (AO) damaliger
120 Fassung, da der Kreis der zur Kontenabfrage berechtigten
121 Behörden und die dabei verfolgten Zwecke nicht hinreichend
122 festgelegt worden seien.
123
124 Auch eine Geschwindigkeitsmessung auf der Grundlage einer
125 Verwaltungsvorschrift stellt nach der Rechtsprechung des
126 BVerfG (Beschluss vom 11. August 2009 ) eine unzulässige
127 Einschränkung des Rechts auf informationelle
128 Selbstbestimmung dar, da eine solche Maßnahme nur auf
129 gesetzlicher Grundlage, die dem Gebot der Normenklarheit und
130 Verhältnismäßigkeit zu entsprechen habe, zulässig sei.
131
132 Die Einführung der Vorratsdatenspeicherung durch das „Gesetz
133 zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung“ zur
134 Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG in deutsches Recht ist
135 Gegenstand mehrerer Entscheidungen des BVerfG. Nach § 113a
136 TKG waren Telekommunikationsdiensteanbieter verpflichtet,
137 Verkehrsdaten von Telefondiensten (Festnetz, Mobilfunk, Fax,
138 SMS, MMS), E-Mail-Diensten und Internetdiensten vorsorglich
139 anlasslos für die Dauer von sechs Monaten zu speichern. Die
140 zulässigen Zwecke der Datenverwendung waren in § 113b TKG,
141 die Verwendung der Daten für die Strafverfolgung in § 100g
142 StPO geregelt. Nachdem das Gericht mit Beschluss vom 28.
143 Oktober 2008 im Wege der einstweiligen Anordnung Teile der
144 Vorratsdatenspeicherung außer Kraft gesetzt hatte, entschied
145 es mit Urteil vom 2. März 2010 in der Hauptsache, dass die
146 Regelungen des TKG und der StPO über die
147 Vorratsdatenspeicherung mit Art. 10 Abs. 1 GG unvereinbar
148 und damit nichtig seien. Die Vorratsdatenspeicherung durch
149 private Telekommunikationsunternehmen greife in den
150 Schutzbereich des Fernmeldegeheimnis ein, da diese als
151 „Hilfspersonen“ für die Aufgabenerfüllung staatlicher
152 Behörden in Anspruch genommen würden. Zwar sei eine
153 Speicherungspflicht in dem vorgesehenen Umfang nicht von
154 vornherein schlechthin verfassungswidrig. Es fehle aber an
155 einer dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechenden
156 Ausgestaltung. Datensicherheit, Begrenzung der
157 Verwendungszwecke, verfassungsrechtliche Transparenz und
158 Rechtschutzanforderungen seien nicht hinreichend
159 gewährleistet.
160 Für die Frage, zum Schutz welcher Rechtsgüter der Datenabruf
161 als verhältnismäßig anzusehen ist, differenziert das Gericht
162 zwischen der unmittelbaren und mittelbaren Nutzung der
163 Daten. Der Abruf und die unmittelbare Nutzung der Daten
164 seien nur verhältnismäßig, wenn sie überragend wichtigen
165 Aufgaben des Rechtsgüterschutzes dienten. Im Bereich der
166 Strafverfolgung setze dies einen durch bestimmte Tatsachen
167 begründeten Verdacht einer schweren Straftat voraus. Für die
168 Gefahrenabwehr und die Erfüllung der Aufgaben der
169 Nachrichtendienste dürften diese Maßnahmen nur bei Vorliegen
170 tatsächlicher Anhaltspunkte für eine konkrete Gefahr für
171 Leib, Leben oder Freiheit einer Person, für den Bestand oder
172 die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für eine
173 gemeine Gefahr zugelassen werden.
174 Soweit die Behörden in §§ 113b Satz 1 Halbs. 2, 113 TKG zur
175 Identifizierung von IP-Adressen berechtigt wurden, von
176 Diensteanbietern auf der Grundlage gespeicherter
177 Verkehrsdaten die Identität bestimmter, bereits bekannter
178 IP-Adressen zu erfragen, sei diese nur mittelbare Nutzung
179 der Daten auch unabhängig von begrenzenden Straftaten- oder
180 Rechtsgüterkatalogen für die Strafverfolgung, Gefahrenabwehr
181 und die Wahrnehmung nachrichtendienstlicher Aufgaben
182 zulässig. Für die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten
183 könnten solche Auskünfte hingegen nur in gesetzlich
184 ausdrücklich benannten Fällen von besonderem Gewicht erlaubt
185 werden.

Der Text verglichen mit der Originalversion

1 Neben den unter 1.3.1 erwähnten grundlegenden
2 Entscheidungen, dem „Volkszählungsurteil“ sowie dem Urteil
3 zur „Online-Durchsuchung“, hat sich das BVerfG in einer
4 Reihe weiterer Entscheidungen mit Fragen der
5 informationellen Selbstbestimmung und verwandter Grundrechte
6 befasst. Die Rechtsprechung des BVerfG enthält im Bereich
7 des Datenschutzes vielfach sehr konkrete und detaillierte
8 Vorgaben für das gesetzgeberische Handeln. Aus der
9 umfangreichen Rechtsprechung des Gerichts zum Datenschutz
10 sei beispielhaft auf folgende Entscheidungen hingewiesen:
11
12 Gegenstand des Urteils vom 14. Juli 1999 waren erweiterte
13 Befugnisse des Bundesnachrichtendienstes zur Überwachung,
14 Aufzeichnung und Auswertung des Telekommunikationsverkehrs
15 sowie zur Übermittlung der daraus erlangten Daten an andere
16 Behörden. 1994 war das Gesetz zur Beschränkung des Brief-,
17 Post- und Fernmeldegeheimnisses (G 10) mit dem Ziel geändert
18 worden, Informationen u. a. im Bereich des internationalen
19 Terrorismus, des Drogenhandels und der Geldwäsche zu
20 erlangen, um sie nachfolgend den zuständigen Behörden zur
21 Verhinderung, Aufklärung und Verfolgung von Straftaten zur
22 Verfügung zu stellen. Mit Beschluss vom 5. Juli 1995
23 bestimmte das BVerfG im Rahmen einer einstweiligen
24 Anordnung, dass einzelne der neugefassten Vorschriften
25 zunächst nur eingeschränkt angewendet werden dürften. In der
26 Hauptsache urteilte das Gericht 1999, einzelne Vorschriften
27 verstießen gegen Art. 10 GG. Das Fernmeldegeheimnis schütze
28 in erster Linie den Kommunikationsinhalt vor staatlicher
29 Kenntnisnahme, daneben aber auch die Kommunikationsumstände.
30 Der Schutz erstrecke sich auch auf den Infor-mations- und
31 Datenverarbeitungsprozess, der sich an zulässige
32 Kenntnisnahmen von geschützten Kommunikationsvorgängen
33 anschließe, und den Gebrauch, der von den erlangten
34 Kenntnissen gemacht werde. Solle der Bundesnachrichtendienst
35 zu Eingriffen in das Fernmeldegeheimnis ermächtigt werden,
36 sei der Gesetzgeber verpflichtet, Vorsorge gegen Gefahren zu
37 treffen, die sich aus der Erhebung und Verwertung
38 personenbezogener Daten ergeben. Hierzu verwies das Gericht
39 auf die im Volkszählungsurteil entwickelten Kriterien für
40 Eingriffe in Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG. Diese
41 seien auch auf die speziellere Regelung des Art. 10 GG
42 übertragbar. Speicherung und Verwendung erlangter Daten
43 seien grundsätzlich an den Zweck gebunden, den das zur
44 Kenntnisnahme ermächtigende Gesetz festgelegt habe.
45 Zweckänderungen seien nur durch Allgemeinbelange
46 gerechtfertigt, die die grundrechtlich geschützten
47 Interessen überwiegen. Eine Sammlung nicht anonymisierter
48 Daten auf Vorrat zu unbestimmten oder noch nicht
49 bestimmbaren Zwecken sei mit diesen Vorgaben unvereinbar.
50
51 Mit Beschluss vom 14. Dezember 2000 stellt das Gericht
52 fest, dass die Feststellung, Speicherung und künftige
53 Verwendung des „genetischen Fingerabdrucks“ auf der
54 Grundlage von § 81g StPO und § 2
55 DNA-Identitätsfeststellungsgesetz in das Recht auf
56 informationelle Selbstbestimmung eingreife, es sich aber um
57 einen rechtlich zulässigen Grundrechtseingriff handele, da
58 u. a. das Gebot der Normenklarheit, das Übermaßverbot und
59 der Richtervorbehalt gewahrt seien.
60
61 Im Urteil vom 12. April 2005 äußerte sich das BVerfG zu
62 einer weiteren Vorschrift der Strafprozessordnung.
63 Gesetzliche Grundlage für Beweiserhebungen unter Einsatz
64 eines satellitengestützten Ortungssystems
65 (Global-Positioning-System, “GPS“) und die Verwertung der
66 Erkenntnisse war im zu Grunde liegenden Sachverhalt § 100c
67 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b Strafprozessordnung (StPO) damaliger
68 Fassung, wonach ohne Wissen des Betroffenen „besondere für
69 Observationszwecke bestimmte technische Mittel“ eingesetzt
70 werden konnten. Die Vorschrift sei verfassungsgemäß, da sie
71 hinreichend bestimmt sei und nicht in den unantastbaren
72 Kernbereich privater Lebensgestaltung eingreife. Wegen des
73 schnellen und für den Grundrechtsschutz riskanten
74 informationstechnischen Wandels sei der Gesetzgeber aber
75 aufgerufen, die technischen Entwicklungen aufmerksam zu
76 verfolgen und notfalls korrigierend einzugreifen.
77
78 Die Durchsuchung und Beschlagnahme des gesamten
79 elektronischen Datenbestands einer ge-meinsam betriebenen
80 Rechtsanwaltskanzlei und Steuerberatungsgesellschaft
81 (Beschluss vom 12. April 2005 ) – im Rahmen eines gegen
82 einen der Berufsträger gerichteten Ermittlungsverfahrens –
83 qualifizierte das BVerfG als erheblichen Eingriff in das
84 Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Dem müsse durch
85 strikte Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und
86 bestimmter Verfahrensregelungen Rechnung getragen werden. Zu
87 berücksichtigen sei u. a., dass das Vertrauensverhältnis
88 zwischen Rechtsanwälten und Mandanten rechtlich besonders
89 geschützt und durch die Streubreite der sichergestellten
90 Daten eine Vielzahl gänzlich unbeteiligter Personen von der
91 Beschlagnahme betroffen sei.
92
93 Zu den verfassungsrechtlichen Grenzen der Rasterfahndung,
94 bei der den Polizeibehörden von anderen Stellen
95 personenbezogene Daten übermittelt und nachfolgend einem
96 automatisierten Abgleich nach bestimmten Merkmalen
97 unterzogen werden, hat das BVerfG mit Beschluss vom 4. April
98 2006 entschieden. Eine präventive polizeiliche
99 Rasterfahndung stelle einen Grundrechtseingriff von
100 besonderer Intensität dar und sei daher mit dem Grundrecht
101 auf informationelle Selbstbestimmung nur dann vereinbar,
102 wenn eine konkrete Gefahr für hochrangige Rechtsgüter wie
103 den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes
104 oder für Leib, Leben oder Freiheit einer Person gegeben sei
105 . Eine allgemeine Bedrohungslage, wie etwa seit dem 11.
106 September 2001, ohne das Vorliegen weiterer Tatsachen, sei
107 dafür nicht ausreichend.
108
109 Mit Beschluss vom 13. Juni 2007 erklärte das Gericht
110 Vorschriften zum automatischen Kontenabruf teilweise für
111 verfassungswidrig, da gegen den verfassungsrechtlichen
112 Bestimmtheitsgrundsatz verstoßen werde. Die angegriffenen
113 Regelungen ermächtigten einzelne Behörden zur
114 automatisierten Abfrage von Daten, die von den
115 Kreditinstituten vorgehalten werden müssen. Soweit das Gebot
116 der Normenklarheit nicht eingehalten worden sei, verstoße
117 die Regelung gegen das Recht auf informationelle
118 Selbstbestimmung. Einen solchen Verstoß bejahte das Gericht
119 hinsichtlich § 93 Abs. 8 Abgabenordnung (AO) damaliger
120 Fassung, da der Kreis der zur Kontenabfrage berechtigten
121 Behörden und die dabei verfolgten Zwecke nicht hinreichend
122 festgelegt worden seien.
123
124 Auch eine Geschwindigkeitsmessung auf der Grundlage einer
125 Verwaltungsvorschrift stellt nach der Rechtsprechung des
126 BVerfG (Beschluss vom 11. August 2009 ) eine unzulässige
127 Einschränkung des Rechts auf informationelle
128 Selbstbestimmung dar, da eine solche Maßnahme nur auf
129 gesetzlicher Grundlage, die dem Gebot der Normenklarheit und
130 Verhältnismäßigkeit zu entsprechen habe, zulässig sei.
131
132 Die Einführung der Vorratsdatenspeicherung durch das „Gesetz
133 zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung“ zur
134 Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG in deutsches Recht ist
135 Gegenstand mehrerer Entscheidungen des BVerfG. Nach § 113a
136 TKG waren Telekommunikationsdiensteanbieter verpflichtet,
137 Verkehrsdaten von Telefondiensten (Festnetz, Mobilfunk, Fax,
138 SMS, MMS), E-Mail-Diensten und Internetdiensten vorsorglich
139 anlasslos für die Dauer von sechs Monaten zu speichern. Die
140 zulässigen Zwecke der Datenverwendung waren in § 113b TKG,
141 die Verwendung der Daten für die Strafverfolgung in § 100g
142 StPO geregelt. Nachdem das Gericht mit Beschluss vom 28.
143 Oktober 2008 im Wege der einstweiligen Anordnung Teile der
144 Vorratsdatenspeicherung außer Kraft gesetzt hatte, entschied
145 es mit Urteil vom 2. März 2010 in der Hauptsache, dass die
146 Regelungen des TKG und der StPO über die
147 Vorratsdatenspeicherung mit Art. 10 Abs. 1 GG unvereinbar
148 und damit nichtig seien. Die Vorratsdatenspeicherung durch
149 private Telekommunikationsunternehmen greife in den
150 Schutzbereich des Fernmeldegeheimnis ein, da diese als
151 „Hilfspersonen“ für die Aufgabenerfüllung staatlicher
152 Behörden in Anspruch genommen würden. Zwar sei eine
153 Speicherungspflicht in dem vorgesehenen Umfang nicht von
154 vornherein schlechthin verfassungswidrig. Es fehle aber an
155 einer dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechenden
156 Ausgestaltung. Datensicherheit, Begrenzung der
157 Verwendungszwecke, verfassungsrechtliche Transparenz und
158 Rechtschutzanforderungen seien nicht hinreichend
159 gewährleistet.
160 Für die Frage, zum Schutz welcher Rechtsgüter der Datenabruf
161 als verhältnismäßig anzusehen ist, differenziert das Gericht
162 zwischen der unmittelbaren und mittelbaren Nutzung der
163 Daten. Der Abruf und die unmittelbare Nutzung der Daten
164 seien nur verhältnismäßig, wenn sie überragend wichtigen
165 Aufgaben des Rechtsgüterschutzes dienten. Im Bereich der
166 Strafverfolgung setze dies einen durch bestimmte Tatsachen
167 begründeten Verdacht einer schweren Straftat voraus. Für die
168 Gefahrenabwehr und die Erfüllung der Aufgaben der
169 Nachrichtendienste dürften diese Maßnahmen nur bei Vorliegen
170 tatsächlicher Anhaltspunkte für eine konkrete Gefahr für
171 Leib, Leben oder Freiheit einer Person, für den Bestand oder
172 die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für eine
173 gemeine Gefahr zugelassen werden.
174 Soweit die Behörden in §§ 113b Satz 1 Halbs. 2, 113 TKG zur
175 Identifizierung von IP-Adressen berechtigt wurden, von
176 Diensteanbietern auf der Grundlage gespeicherter
177 Verkehrsdaten die Identität bestimmter, bereits bekannter
178 IP-Adressen zu erfragen, sei diese nur mittelbare Nutzung
179 der Daten auch unabhängig von begrenzenden Straftaten- oder
180 Rechtsgüterkatalogen für die Strafverfolgung, Gefahrenabwehr
181 und die Wahrnehmung nachrichtendienstlicher Aufgaben
182 zulässig. Für die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten
183 könnten solche Auskünfte hingegen nur in gesetzlich
184 ausdrücklich benannten Fällen von besonderem Gewicht erlaubt
185 werden.

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