1.2.3 Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH)

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    1 Erste Entscheidungen des EuGH zur DSRL datieren aus dem Jahr
    2 2003. In einem 2003 entschiedenen Verfahren wandten sich
    3 Mitarbeiter des Österreichischen Rundfunks gegen eine
    4 österreichische Regelung, auf Grund derer ihre Jahresbezüge
    5 mit ihren Namen dem Rechnungshof mitzuteilen waren und
    6 nachfolgend vom Rechnungshof veröffentlicht wurden.
    7 Besonders streitig war in diesem Zusammenhang, ob die DSRL,
    8 die auf die Kompetenz der Gemeinschaft zur Errichtung des
    9 Binnenmarktes gestützt wurde und durch Harmonisierung der
    10 nationalen Vorschriften den freien Datenverkehr zwischen den
    11 Mitgliedstaaten gewährleisten soll, auf diesen Sachverhalt
    12 überhaupt anwendbar war. Denn im konkreten Fall lag ein
    13 Zusammenhang mit den europarechtlichen Grundfreiheiten eher
    14 fern. Das Gericht hat die Anwendbarkeit der Richtlinie
    15 dennoch bejaht. Nach Auffassung des Gerichts kann die
    16 Anwendbarkeit der Richtlinie im Einzelfall nicht davon
    17 abhängen, ob ein Zusammenhang mit dem freien Verkehr
    18 zwischen den Mitgliedstaaten besteht.
    19
    20 Die Darstellung anderer Personen auf einer privaten
    21 schwedischen Website ohne deren Zustimmung war Gegenstand im
    22 Fall „Lindqvist“ . In seinem Urteil nahm der EUGH erstmals
    23 zur Veröffentlichung personenbezogener Daten im Internet
    24 Stellung und entschied, dass die Einstellung ins Internet
    25 zwar eine Verarbeitung von Daten im Sinne der DSRL
    26 darstelle, nicht aber als Übermittlung in Drittländer und
    27 damit nicht als grenzüberschreitender Datenaustausch
    28 anzusehen sei. Das Gericht äußerte sich auch zur Frage des
    29 Ausgleichs zwischen Datenschutz und widerstreitenden
    30 Grundrechten, insbesondere der Meinungsfreiheit. Es sei
    31 Sache der nationalen Behörden und Gerichte, ein angemessenes
    32 Gleichgewicht zwischen den betroffenen Rechten und
    33 Interessen einschließlich geschützter Grundrechte
    34 herzustellen und hierbei insbesondere den Grundsatz der
    35 Verhältnismäßigkeit zu wahren. Im Übrigen sei es zulässig,
    36 dass die Mitgliedstaaten den Geltungsbereich ihrer
    37 Datenschutzgesetze über den Anwendungsbereich der Richtlinie
    38 hinaus ausdehnen, soweit dem keine Bestimmung des
    39 Gemeinschaftsrechts entgegenstehe.
    40
    41 Zur Übermittlung von Fluggastdaten an die USA nahm der EuGH
    42 im Mai 2006 (C-317/04) Stel-lung. Er erklärte die zu Grunde
    43 liegende Genehmigung des Abkommens zwischen der EU und den
    44 USA durch den Rat für nichtig. Dasselbe gelte für die zum
    45 selben Sachverhalt ergangene Entscheidung der Kommission,
    46 mit der das US-amerikanische Datenschutzniveau für
    47 angemessen im Sinne des Art. 25 DSRL erklärt wurde. Wie sich
    48 aus den Begründungserwägungen ergebe, seien Sinn und Zweck
    49 der Datenübermittlung in die USA die Terrorismusbekämpfung.
    50 Gegenstand beider Rechtsakte sei daher das Strafrecht. Daher
    51 sei die DSRL keine geeignete Rechtsgrundlage. Mangels
    52 Rechtsgrundlage waren der Ratsbeschluss und die
    53 Kommissionsentscheidung für nichtig zu erklären. In dem
    54 Urteil des EuGH vom Februar 2009 über die
    55 Vorratsdatenspeicherungs-Richtlinie konzentriert sich das
    56 Gericht ebenfalls auf Fragen der Rechtsetzungskompetenz.
    57 Grundrechtliche Fragen waren nicht Gegenstand des
    58 Verfahrens. Die Vorratsdatenspeicherungs-Richtlinie stelle
    59 keine Regelung der Strafverfolgung dar, sondern habe –
    60 anders als bei der Flug-gastdatenübermittlung – den Zweck,
    61 durch Harmonisierung das Handeln der
    62 Telekommunikationsdienstleister im Binnenmarkt zu
    63 erleichtern. Die Richtlinie sei daher zu Recht auf der
    64 Grundlage der Binnenmarktkompetenz erlassen worden. Anders
    65 als von der Klage geltend gemacht, sei ein Rahmenbeschluss
    66 nach den Bestimmungen über die polizeiliche und justizielle
    67 Zusammenarbeit nicht erforderlich.
    68 Im Hinblick auf das zentrale deutsche Ausländerregister
    69 entschied der EuGH mit Urteil vom 16. Dezember 2008 , dass
    70 die Speicherung und Verarbeitung personenbezogener Daten
    71 namentlich genannter Personen zu statistischen Zwecken nicht
    72 dem Erforderlichkeitsgebot im Sinne der europäischen
    73 Richtlinie zum Schutz personenbezogener Daten entspreche und
    74 die Nutzung der im Register enthaltenen Daten zur Bekämpfung
    75 der Kriminalität gegen das Diskriminierungsverbot verstoße,
    76 da diese Nutzung auf die Verfolgung von Verbrechen und
    77 Vergehen unabhängig von der Staatsangehörigkeit abstelle.
    78 Ein System zur Verarbeitung personenbezogener Daten, das der
    79 Kriminalitätsbekämpfung diene, aber nur EU-Ausländer
    80 erfasse, sei mit dem Verbot der Diskriminierung aus Gründen
    81 der Staatsangehörigkeit unvereinbar.
    82 Zum Verhältnis von Pressefreiheit und Datenschutz äußerte
    83 sich der EuGH in seiner Entschei-dung vom 16. Dezember 2008
    84 . Das Unternehmen Markkinapörrsi veröffentlicht Steuerdaten
    85 (Namen und Einkommen), die bei den finnischen Steuerbehörden
    86 öffentlich zugänglich sind. Der EuGH sah auch diese
    87 Weiterveröffentlichung bereits öffentlich zugänglicher
    88 Informationen als Datenverarbeitung im Sinne der DSRL an. Um
    89 Datenschutz und Meinungsfreiheit in Ausgleich zu bringen,
    90 seien die Mitgliedstaaten aufgerufen, Einschränkungen des
    91 Datenschutzes vorzusehen. Entsprechende Ausnahmen dürften
    92 allein zu journalistischen, künstlerischen oder
    93 literarischen Zwecken, die unter das Grundrecht der
    94 Meinungsfreiheit fallen, gemacht werden, soweit sie sich als
    95 notwendig erweisen, um das Recht der Privatsphäre mit den
    96 für die Meinungsfreiheit geltenden Vorschriften in Einklang
    97 zu bringen. In Anbetracht der hohen Bedeutung der
    98 Meinungsfreiheit müsse der Begriff des „Journalismus“ und
    99 damit zusammenhängende Begriffe weit ausgelegt werden.
    100 Andererseits müssten sich Einschränkungen des Datenschutzes
    101 aus Gründen der Meinungsfreiheit auf das absolut Notwendige
    102 beschränken.
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    104 Mit Urteil vom 9. März 2010 entschied der EuGH in einem
    105 Vertragsverletzungsverfahren, das die EU-Kommission gegen
    106 Deutschland angestrengt hatte. Die organisatorische
    107 Einbindung der Datenschutzaufsicht für den
    108 nicht-öffentlichen Bereich in die Innenministerien einiger
    109 Bundesländer sowie die Aufsicht der Landesregierungen über
    110 die Datenschutzbehörden entspreche nicht den Vorgaben der
    111 DSRL. Vielmehr sei nach Art. 28 der Richtlinie erforderlich,
    112 dass diese Stellen ihre Aufgabe „in völliger Unabhängigkeit“
    113 wahrnehmen.
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    115 Um den Widerstreit von Transparenz und Datenschutz geht es
    116 bei der Entscheidung in der Rechtssache „Bavarian Lager“ vom
    117 29. Juni 2010. Die Kommission hatte es abgelehnt,
    118 gegen-über der Gesellschaft Bavarian Lager Company die Namen
    119 der Teilnehmer eines im Rahmen eines
    120 Vertragsverletzungsverfahrens abgehaltenen vertraulichen
    121 Treffens offenzulegen. Die Kommission berief sich darauf,
    122 dass der Zugang zu Dokumenten nur unter Beachtung des
    123 Datenschutzes zulässig sei. Das Europäische Gericht hatte
    124 2007 in erster Instanz entschieden, dass die Herausgabe der
    125 Dokumente nur dann verweigert werden könne, wenn der Schutz
    126 der Privatsphäre verletzt werde. Das sei bei einer bloßen
    127 Namensnennung auf einer Teilnehmerliste im beruflichen
    128 Kontext nicht der Fall. Auf der Grundlage der Verordnung
    129 45/2001/EG sowie der Verordnung 1049/2001/EG entschied der
    130 EuGH im Juni 2010, dass die Kommission rechtmäßig gehandelt
    131 habe. Die in dem Sitzungsprotokoll aufgeführten
    132 Teilnehmernamen seien personenbezogene Daten. Da Bavarian
    133 Lager Argumente für die Notwendigkeit der Übermittlung
    134 dieser Daten oder ein berechtigtes Interesse nicht
    135 vorgetragen habe, könne die Kommission keine
    136 Interessenabwägung vornehmen. Die Verpflichtung zur
    137 Transparenz sei daher im konkreten Falle von der Kommission
    138 hinreichend gewahrt worden.
    139
    140 Demgegenüber sah das Gericht bei der
    141 Internet-Veröffentlichung der Namen aller natürlichen
    142 Personen, die EU-Agrarsubventionen empfangen haben, den
    143 Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt, da hierbei nicht
    144 nach einschlägigen Kriterien wie Häufigkeit, Art und Höhe
    145 der Beihilfen unterschieden wurde. Das Interesse der
    146 Steuerzahler an Informationen über die Verwendung
    147 öffentlicher Gelder rechtfertige einen solchen Eingriff in
    148 das Recht auf Schutz der personenbezogenen Daten nach Art. 8
    149 der Grundrechtcharta nicht.